Während der Nationalismus seine Begründung früher in Heldengeschichten des unbesiegbaren Volkes fand, schöpfen heute weltweit immer mehr Staaten und Nationen ihr Selbstbewusstsein aus einer Opfergeschichte - und leiten daraus einen Status ab, der sogar vererbt werden soll. Mit vergleichendem Blick auf Polen, Deutschland, Israel, Japan und Südkorea zeigt Jie-Hyun Lim scharfsinnig, welche Probleme ein solcher Opfernationalismus mit sich bringt, wenn er sich als Machtpolitik formiert: Vergangenheit wird verfälscht, die Opfer selbst werden mitunter unsichtbar gemacht und Herrschaft legitimiert. Indem er dabei konsequent die Perspektive vom europäischen Zentrum löst und in den Globalen Osten verlagert, wird deutlich, wie die historischen Katastrophen im Gedenken weltweit in Beziehung gesetzt und abgeglichen werden, sich erklären und in Konkurrenz zueinander geraten. In seinen wegweisenden Überlegungen entwirft Lim die Grundzüge für einen globalen Erinnerungsraum, der auf Anteilnahme und Diversität beruht und zugleich historisch trennscharf bleibt. Ein unverzichtbarer Beitrag für die Debatten um eine Geschichtspolitik der Zukunft in der postkolonialen Welt.
»Ein spannender Einblick in den globalen Erinnerungsdiskurs und eine gewichtige Anregung für die kontroverse deutsche Debatte.« Sebastian Conrad
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Stephan Speicher hat seine Probleme mit Lie-Hyun Lims Buch zum sogenannten Opfernationalismus. Ja, es stimme, dass es mit dem Zweiten Weltkrieg einen Wandel vom heroischen zum sogenannten Opfernationalismus gegeben habe, in dem also nicht mehr die Helden, sondern eher die Opfer hochgehalten und zum Teil als moralische Rechtfertigung für eigene politische Zwecke instrumentalisiert worden seien, wie Speicher den Autor wiedergibt - so etwa im Falle der israelischen Regierung, die 1982 die Kritik am Einmarsch nach Libanon mit dem Verweis auf den Holocaust abwehren wollte. Oder Japan, dass sich nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki als "Opfer des weißen Rassismus" sah. Aber dass Lie-Hyun Lim keine Idee hat, warum es zu dieser Wendung kam, dass er sogar den Holocaust als "Zivilisationsbruch" nicht in seiner Einmaligkeit ernst zu nehmen scheint, stört den Kritiker dann doch sehr. Und auch die Kritik an einem "selbstgefälligen Westen" falle deutlich weniger postkolonial aus, als sie zu sein vorgebe. Gewissen Aspekten stimmt der Kritiker auch zu, aber insgesamt ein "sprödes", obwohl theoretisch nicht sehr anspruchsvolles Buch, moniert er.
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