Über Karl Lagerfeld sind in den letzten Jahren einige Biografien erschienen, meist von Menschen, die (zumindest zeitweise) in seinem Umfeld lebten. Einige davon sind ganz gelungen, andere weniger. Insbesondere die Autoren, die sich nur um den Teil des Lagerfeld-Universums kümmern, dem sie selber
angehörten, liefern in der Regel enttäuschende Resultate, denn sie erfassen die Vielschichtigkeit…mehrÜber Karl Lagerfeld sind in den letzten Jahren einige Biografien erschienen, meist von Menschen, die (zumindest zeitweise) in seinem Umfeld lebten. Einige davon sind ganz gelungen, andere weniger. Insbesondere die Autoren, die sich nur um den Teil des Lagerfeld-Universums kümmern, dem sie selber angehörten, liefern in der Regel enttäuschende Resultate, denn sie erfassen die Vielschichtigkeit dieses Jahrhunderttalents nur ansatzweise.
Auch William Middleton hatte berufliche Berührungspunkte mit Karl Lagerfeld, allerdings ließ er sich wesentlich mehr Zeit, seine Erkenntnisse „zu Geld zu machen“ und von allen Biografen taucht er auch mit großem Abstand am tiefsten und gründlichsten in dessen Leben ein. Mit fast schon detektivischer Akribie hat er öffentliche und weniger öffentliche Quellen ausgewertet, Interviews geführt, mit Zeitzeugen gesprochen und Zeitgeschichte recherchiert, so dass am Ende ein im wahren Sinn schillerndes Portrait entstand.
Einen besonderen Fokus legt Middleton auf die Ambivalenz zwischen dem öffentlichen und dem privaten „Karl“ (Lagerfeld ließ sich zwar mit Vornamen anreden, blieb aber im Deutschen und Französischen meist beim „Sie“). Es sind erstaunlich viele Details aus Lagerfelds Privatleben bekannt, wenn auch vieles widersprüchlich bleibt. Middleton ergeht sich dann nicht in Spekulationen, sondern wo sich Aussagen widersprechen, gehört dies nicht selten zu einer typischen Charaktereigenschaft Lagerfelds, der sein öffentliches Bild stets unter Kontrolle hielt, notfalls mit einer charmanten Lüge.
Der Autor zeichnet die beruflichen Stationen genauso detailliert auf wie das äußerst komplexe soziale Netzwerk, in dem Lagerfeld das unbestrittene Zentrum war. Selbst die Trennung der „Universen“ von Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld war zumindest im Geheimen durchlässig und mit dem Tod Pierre Bergés dann auch aufgehoben. Wer eine Liste des Who-is-who der intellektuellen Modewelt zwischen 1952 und 2019 sucht, der wird bei Lagerfeld jedenfalls nicht enttäuscht. Selbst als Filmschauspieler hat er einmal reüssiert - ist leider aber nie im Fernsehen gezeigt worden...
Wie auch schon andere Biografen berichtet haben, beschreibt Middleton Karl Lagerfeld als einen ungeheuer fleißigen, talentierten und sehr großzügigen Menschen, der im Privaten wenig von der scharfzüngigen Kälte hatte, die er in der Öffentlichkeit meist zelebrierte. Andererseits konnte er innerhalb kürzester Zeit das Interesse an „Freunden“ verlieren und schloss sie dann auch dauerhaft aus. Middletons Charakterisierung bleibt stets fair, relativ neutral und vielschichtig, so wie Lagerfeld tatsächlich war, denn er erfand sich immer wieder neu. Berufliche wie private Einschnitte zwangen ihm nicht selten diese Neuerfindung auf, aber mit einem nahezu untrüglichen Geschäftssinn ausgestattet, scharte er jedes Mal die richtigen Leute um sich, um wieder ganz neue Felder zu bestellen.
Lagerfeld hätte wahrscheinlich seine Freude an dieser Biografie, eben weil sie die Komplexität seines Lebens und seines Charakters detailliert, aber mit der Distanz eines Sachbuchautors darstellt. William Middleton war eben nicht Teil des Privatissime, er wurde nicht verstoßen und hat doch genug von Karls faszinierender Persönlichkeit kennengelernt, um authentisch zu berichten. Bewunderung schwingt immer mit, aber es ist keine kritiklose Bewunderung.
Von allen Biografien, die ich gelesen habe, die ehrlichste, detaillierteste - und die beste.