Hans Christian Andersen ist einer der bekanntesten Unbekannten der Weltliteratur: Wurden seine Märchen noch zu Lebzeiten und inzwischen in über 80 Sprachen übersetzt, gilt es den ironischen Romancier, den lyrischen Erzähler und meisterhaften Schöpfer zarter Sprachgeflechte noch zu entdecken. Gelegenheit hierzu gibt sein Alterswerk "Peer im Glück", ein Bildungsroman in märchenhaftem Gewand: Der kleine Peer stammt zwar aus bescheidenen Verhältnissen, doch scheint das Glück ihm mehr gewogen als jedem anderen Menschen auf dieser Welt. Unter den Augen seiner verdutzten Lehrer gelingt ihm mühelos der berufliche wie persönliche Aufstieg. Er entwickelt sich zum gefeierten Sänger, ja zum Genie, dessen Leben in der Aufführung einer selbstkomponierten Oper seinen krönenden, aber auch tragischen Höhepunkt erlebt. Klar lässt die erste Neuübersetzung seit über hundert Jahren zutage treten, was bis heute kleine wie große Andersen-Leser zu faszinieren vermag: der mit kunstvoller Zurückhaltung angebrachte Schmuck seiner Sprache, sein von feiner Ironie durchzogener Ton, doch auch das romantisch beeinflusste Grauen, das hinter den Fassaden lauert. Die kuriose "Fußreise von Holmens Kanal zur Ostspitze von Amager", die Andersen ganz zu Beginn seiner Poetenlaufbahn auf den Spuren literarischer Gestalten durch Dänemark führte, sowie die phantastische Geschichte der "Tante Zahnweh" aus dem mittleren Erzählwerk ergänzen diese Prosasammlung. Es entsteht eine spannungsreiche kleine Werkschau, die den Leser einlädt, den neuen, anderen Andersen zu entdecken jenseits von Zinnsoldaten und Kleiner Meerjungfrau.
Hans Christian Andersen hat Geburtstag, die Verlage feiern mit
Dem dänischen Schriftsteller Hans Christian Andersen galt ein Essay, der am vergangenen Samstag zum zweihundertsten Geburtstag des Autors in dieser Zeitung erschienen ist. Auf dem Buchmarkt war das Jubiläum Anlaß für eine ganze Reihe von Neuerscheinungen und Wiederauflagen.
Die größte Auswahl gibt es naturgemäß bei den Märchen. Neben einigen reichbebilderten Ausgaben (F.A.Z. vom 26. März) ist die zweibändige, von Heinrich Detering herausgegebene Edition der 156 kanonischen Märchen mit den klassischen Illustrationen von Vilhelm Pedersen und Lorenz Frølich aus der Reihe Winkler Weltliteratur in einer günstigeren Sonderausgabe erschienen (Verlag Artemis & Winkler, zusammen 1558 S., 49,80 [Euro]). Ein Klassiker ist auch die bei Droemer Knaur erschienene Ausgabe der Märchen mit den Illustrationen von Ruth Koser-Michaels (384 S., 15,50 [Euro]).
Um Andersens Romane macht sich seit längerem der Verlag ars vivendi verdient. "Sein oder nicht sein" erschien 2003 (288 S., 19,90 [Euro]), im vergangenen Jahr "Der Improvisator" (400 S., 25,90 [Euro]), in diesem Frühjahr nun "Die beiden Baroninnen" (300 S., 19,90 [Euro]). Weil bei S. Fischer kürzlich "Nur ein Spielmann" in neuer Übersetzung erschienen ist (256 S., 19,80 [Euro]) und bei Manesse Andersens letzter Roman "Peer im Glück" in einem hübschen Sammelband gemeinsam mit dem Jugendwerk "Fußreise von Holmens Kanal zur Ostspitze von Amager in den Jahren 1828 und 1829" und dem selten gedruckten Märchen "Tante Zahnweh" (348 S., 19,90 [Euro]), sind jetzt mit Ausnahme des bekenntnishaften "O. Z." alle Romane Andersens in deutscher Übersetzung lieferbar.
1831 unternahm Andersen, unterstützt von einem dänischen Fonds, eine Reise durch Deutschland. Sein Reisebuch "Schattenbilder" ist vollständig als Insel-Taschenbuch erschienen (148 S., 9,- [Euro]).
Andersens insgesamt gut eintausend Gedichte sind sicherlich der in Deutschland am wenigsten bekannte Teil seines literarischen Werks. Heinrich Detering hat jetzt eine Auswahl herausgegeben und größtenteils neu übertragen. Unter dem Titel "Landschaft mit Poet" liegt sie bei Wallstein vor (118 S., 17,- [Euro]).
Andersens Autobiographie "Das Märchen meines Lebens" ist als Insel-Taschenbuch erschienen (235 S., 9,- [Euro]), in gleicher Ausstattung liegt bei Insel Gisela Perlets Auswahl aus Andersens Tagebüchern vor (796 S., 20,- [Euro]). Die gebundene Ausgabe aus dem Jahr 2000 ist in zwei Bänden bei Wallstein erhältlich (zusammen 800 S., 74,- [Euro]).
Ebenfalls im Wallstein Verlag sind die Briefwechsel des Autors mit zwei deutschen Adressaten erschienen: mit dem Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (384 S., 29,- [Euro]) und der Oldenburger Leserin Lina von Eisendecher (496 S., 38,- [Euro]).
Zwei schöne Biographien über den Autor wurden in diesem Frühjahr publiziert - die umfangreichere von Jens Andersen bei Insel (808 S., 28,- [Euro]), die erheblich kompaktere von Gisela Perlet als Taschenbuch bei Suhrkamp (146 S., 7,90 [Euro]).
Für den Schöffling Verlag schließlich unternimmt Ulrich Sonnenberg eine literarische Reise durch "Hans Christian Andersens Kopenhagen" (mit Fotos von Rainer Groothuis, 180 S., 19,90 [Euro]).
F.A.Z.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kristina Maidt-Zinke begrüßt, dass mit der Neuübersetzung beziehunsgweise Neuausgabe von Hans Christian Andersens Werken eine andere Seite des dänischen Schriftstellers zu bewundern ist, der heute fast nur als Verfasser seiner Märchen bekannt ist. Als "furioses Prosadebüt" preist die Rezensentin den Roman "Peer im Glück" und sie freut sich über die "vortreffliche" Neuübertragung ins Deutsche von Gisela Perlet. Es handelt sich um eine in 14 Kapitel eingeteilte "Sylvesternachts-Phantasie" und man hat Andersen dieses Buches lange als "Jugendsünde" vorgeworfen, teilt die begeisterte Rezensentin mit. Sie zeigt sich beeindruckt vom "ungeheuren Wagemut" Andersens, mit dem er hier in genialischer Geste sowohl die dänische Reiseliteratur wie auch ihren "biedermeierlichen Bildungsbetrieb" parodiert und sich gleichzeitig über Zitate mit sämtlichen wichtigen romantischen Schriftstellern "ins Verhältnis setzt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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