Das weltweit populärste italienische Kinderbuch, Carlo Collodis Pinocchio, jetzt bei Schirmer/Mosel? Erstmals 1880 veröffentlicht, erlebten die "Abenteuer eines Hampelmanns" zahllose Nachauflagen, Übersetzungen in alle Sprachen der Erde, immer wieder neu illustrierte Ausgaben; Walt Disney lehrte den kleinen, hölzernen Kerl 1940 das Laufen, Roland Topor versetzte ihn in den 70er Jahren in seine düster-symbolistische Bilderwelt, und Roberto Benignis Pinocchio-Verfilmung ist gerade in den italienischen Kinos angelaufen. Unser Pinocchio kommt zweisprachig daher: im italienischen Original, das Straßen-Toskanisch auf höchstem poetischen Niveau ist, und in einer neuen Übersetzung von Marianne Schneider, die sich bekanntlich in der toskanischen Sprache und deren Eigenheiten bestens auskennt - siehe ihre Leonardo-Übertragungen. Der Leser, ob Kind oder Erwachsener, hat das zweifache Vergnügen einer sprachlich bereinigten, literarisch kongenialen Übersetzung und kann dabei noch Italienisch lernen. Unter den endlos vielen illustrativen Fassungen des Pinocchio - von kindlich bis künstlerisch ambitioniert - haben wir uns für die Illustrationen der 1901 in Florenz erschienenen Zweitausgabe entschieden: Carlo Chiostri, ein zu seiner Zeit gefragter Kinderbuch-Illustrator, schuf mit seinen Zeichnungen und Aquarellen die berühmtesten und sicherlich schönsten Pinocchio-Bilder. In seinem Vorwort geht Gianni Celati (geb. 1937), Literaturprofessor in Bologna und einer der bedeutendsten Erzähler der italienischen Gegenwartsliteratur, den Vorfahren Pinocchios nach, die er in den rastlosen, vom Leben und den eigenen Hirngespinsten gebeutelten Rittern der großen italienischen Epen sieht.
Mit Gefühl: "Pinocchio"
Schon das Titelblatt nimmt den Leser für Pinocchio ein. Es stellt nämlich einen Jungen vor, der zwischen Angst und Lust, Angezogensein und Abwehr schwankt. Er möchte gern - die Augen verraten es - mit den anderen Kindern ins Schlaraffenland, aber ebensogern, die abwehrend erhobene Hand deutet es an, die Fee nicht enttäuschen. Der bulgarische Künstler Jassen Ghiuselev setzt in dieser Ausgabe von Carlo Collodis "Pinocchio"-Roman neben jede Kapitelüberschrift eine ausdrucksstarke Vignette. Dazu entwirft er beinahe zu jedem Kapitel eine ganzseitige, häufig zart pastellfarbene Illustration, die markant ein Ereignis, eine Szene oder Figur wiedergibt. Das Besondere dieser Illustrationen liegt darin, daß sie die immer extremen Gefühlsregungen der Holzpuppe einfangen. Wenn Pinocchio Geppetto ärgert, übermütig herumtobt oder um Hilfe fleht: Die Bilder zeigen ihn als eine Marionette, die gar nicht mechanisch denkt und fühlt, sondern zutiefst widersprüchlich menschlich. So deuten sie an, daß die Wandlungs- und Bekehrungsgeschichte, die uns Carlo Collodi erzählt, nur die eine Seite seines Kinderbuchs ausmacht und die Geschichte der Empfindungen eine ganz spannende andere. WINFRED KAMINSKI Carlo Collodi, Jassen Ghiuselev: "Pinocchio". Aus dem Italienischen von Helga Legers. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997, 253 S., br., 19,90 DM. Ab 9 J.
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Ein Holzscheit fängt an zu sprechen, und kaum ist eine Holzpuppe draus geworden, rennt die ihrem verblüfften Schöpfer davon und stellt ziemlich viele dumme Sachen an. Außerdem neigt der künstliche Knabe, der gar zu gern ein richtiger Junge wäre, zu allerlei Schwindeleien. Dummerweise machen die Lügen ihm jedes Mal eine lange Nase, weshalb sie ihn nicht wirklich weiterbringen. Dank einer blauen Fee geht am Ende alles gut aus, und natürlich handelt es sich hier um die berühmte Geschichte von Pinocchio, das populärste Kinderbuch der Welt. Pünktlich zum Start der eigenwilligen Verfilmung von Roberto Benigni hat der Verlag Schirmel/Mosel eine aufwändig gestaltete zweisprachige Ausgabe des Klassikers von Carlo Collodi herausgebracht. "Pinocchio" wurde ab 1881 als Fortsetzungsroman im "Giornale per i bambini" veröffenlicht - und die damalige grafische Gestaltung diente als Vorbild für diesen "Pinocchio". Auf den linken Seiten steht der italienische Originaltext, jeweils gegenüber die Neuübersetzung von Marianne Schneider. Ein echtes Vergnügen für alle, die immer mal spielerisch ihr italienisch auffrischen wollten. (Hörzu)