Der Hygienediskurs des 19. Jahrhunderts versprach »Gesundheit und ein langes Leben« - und konstruierte so den modernen Körper. Er entwickelte aus der antiken Grammatik physischer Differenz eine moderne Sprache der »Individualität«. Er lehrte die Zeichen von Lust und Schmerz zu lesen, den Körper zu regulieren und ihn zu genießen. Sein heimliches, paradoxes Zentrum war der Reiz: Er ermöglichte »ächte Thätigkeit und ächten Genuss« und bedrohte im Exzess Leib und Leben. Auf ihn konzentrierte sich die hygienische »Sorge um sich«: Wer den Reiz kontrolliert, beherrscht seinen Körper - und damit sich selbst.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Philipp Sarasins Untersuchung beginnt ihre Geschichte des Körpers mit der Geschichte des Bürgerlichen Zeitalters. Als Initiationserlebnis eines neuen Körperverständnisses zitiert der Rezensent Klaus Ungerer eine erstaunliche Entdeckung der Französischen Revolution: "Die Brüder, die Gleichen, sie stanken". Von hier nimmt die Inventarisierung des Körpers ihren Ausgang, erzählt wird die Geschichte der Körperhygieniker, in deren Auffassungen sich manch Politisches spiegelt: von der Forderung nach einer "Verfassung" für den Körper zur Gleichberechtigung der Organe. Ungerer betont die Konflikte zwischen Normierung und Individualisierung, berichtet über den schwierigen und dornenreichen Weg bis zur relativ unbefangenen Rede über Sexualität. Zögerlich auch ließ sich das Bürgertum dazu überreden, gelegentlich wenigstens mit Wasser und Badewannen in Berührung zu kommen: "Um sich so zu reinigen, braucht es Mut", heißt es übers Wannenbad noch im Jahr 1875. Eine Wertung des Buchs und seiner, neben begeistert nacherzählten Beispielen offenbar auch vorhandenen Thesen nimmt der Rezensent nicht vor - die Lektüre scheint ihm aber Vergnügen bereitet zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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