"Als ich mich vor drei Jahren mit meiner Familie in Tokio aufhielt, wo wir im Stadtteil Roppongi wohnten", schreibt Josef Winkler über sein neues Buch, "starb im Alter von 99 Jahren mein Vater, der mir ein Jahr vor seinem Tod, nachdem er erfahren hatte, daß ich in meinem letzten Prosaband einem Bauern aus meinem Heimatdorf weder Kornblumen noch Pfingstrosen gestreut hatte, in einem kurzen, aber dramatischen Telefonmonolog mitteilte, daß, wenn es soweit sei, ich nicht zu seinem Begräbnis kommen solle. Als wir von seinem Ableben erfuhren, stand ich in der österreichischen Botschaft in Tokio vor einer wandgroßen Glasscheibe. Ich schaute hinaus auf einen Teich mit orangefarbenen Wakinfischen, als ein Reiher mit weit auseinandergebreiteten Flügeln am Rande des Teiches aufsetzte. Der tote Vater hat sich also, dachte ich in diesem Augenblick der Trauer und des Glücks, in der Gestalt eines weißen Reihers noch einmal bei mir blicken lassen, bevor er unter die Erde geschaufelt wird mit seinen langen, dünnen roten Beinen, mit seinem erdig gewordenen spitzen langen Schnabel, auf der Suche nach den Würmern seines zukünftigen Grabes in Roppongi. Sein Fluch war in Erfüllung gegangen; wir reisten nicht zurück, sondern blieben in Roppongi."
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Auf gelungene Art misslungen scheint Rezensent Hans-Peter Kunisch Josef Winklers neues Buch zu finden, an das er sich in elyptischen Bewegungen heranschreibt. Zunächst rätselt er, in welches literarische Verkaufssegment er das Buch einordnen soll: Generationenhistorie, Vaterbeschimpfung, Buch über den Tod? Schwer macht die Einordnung auch, dass Winkler seine Geschichte an drei nicht nur räumlich weit voneinander entfernt liegenden Orten spielen lässt, in Indien, im bäuerlichen Kärnten und im japanischen Roppongi, wo der Autor, wie Kunisch schreibt, vom Tod seines Vaters erfährt. Kunischs Leseerlebnisse sind widersprüchlich. Da ist eine gewisse Begeisterung für den "verspielt-ironischen, sachlich-originellen" Beginn des Buchs zu spüren, für die interessanten Analogien zwischen dem "todessinnlich"-katholischen Kärnten und dem "siebenmal so todessinnlichen" Indien. Da hört man eine gewisse Genervtheit über das gelegentliche Überschreiten der Kitschgrenze durch diesen Autor heraus, über seine irritierende Unschlüssigkeit bei der Stoffauswahl. Da spürt man immer wieder Verwunderung über die grundsätzliche Sanftmut dieser Vaterbeschimpfung. Als Leser von Kunischs Kritik ist man daher neugierig auf dieses Buch und gewarnt vor ihm zugleich.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Josef Winkler ist ein Grenzgänger, der schreibend seine Angst in Lust verwandelt und mit dem riskanten Balanceakt knapp am Abgrund langfristig zu solidem Gleichgewicht findet. Nicht Jenseitsverherrlichung betreibt er in Roppongi, sondern Selbstbefreiung im großen Stil. Dazu muss das Verdrängte allerdings in einem beunruhigenden Prozess, der auch den Leser keineswegs schont, immer wieder evoziert werden.« Süddeutsche Zeitung







