Der Privatgelehrte, Fragmentariker, Übersetzer, Collagekünstler, Komponist, Landschaftsforscher, Briefkünstler Hans Jürgen von der Wense (1894-1966) legte in dreißig Jahren auf seinen Wanderungen 27 000 Kilometer zurück - aber auf kleinstem Raum. Meter für Meter, stets mit der topografischen Karte in der Hand, erforschte er sein Terrain, die deutschen Mittelgebirge im Grenzgebiet von Südniedersachsen, Ostwestfalen und Nordhessen. Hier kannte und feierte er jeden Baum, jeden Berg, jeden Bach und jedes Dorf. Seine Wanderungen waren Kurzschlüsse zwischen regionaler Mikroskopie und universaler Erfahrung. Und er übersetzte, was er auf seinen Wegen erlebte, in ekstatische Briefe, geschwinde Tagebucheinträge, luzide Kleinstnotate, Fotografien, Aphorismen und fantastische Messtischblatt-Erläuterungen. Die Sammlung dieses verspäteten Frühromantikers mit futuristischem Tempo, dieses Archäologen des Übersehenen, Vergessenen und Untergegangenen umfasste bei seinem Tod etwa 15 000 beidseitig beschriebene, nach Flussverläufen geordnete Blätter. Nach Landschaften geordnet, seine genauen Routen exakt verzeichnet, liegen Wenses ungebundene Aufzeichnungen nun erstmals vor. So lässt sich, was ihn außer sich brachte, vor Ort aufsuchen - oder vor Schrift.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Großartig, so Rezensent Jan Röhnert, dass nun zumindest ein Ausschnitt des einmaligen Werks Hans Jürgen von der Wenses veröffentlicht ist. Röhnert rekapituliert Leben und Werk des Außenseiterliteraten, der, unterstützt von einem Gönner, Jahrelang deutsche Mittelgebirgslandschaften durchstreifte und eine einmalige Art des Nature Writing kultivierte. Naturwissenschaft und Poesie gehen, beschreibt der Rezensent, bei Wense auf berückende Art und Weise ineinander über, in Bruno-Latourscher Manier wird das Lokale mit dem Terrestrischen verknüpft, jedes Stück Erde kann so zum Zentrum des Kosmos werden. Der vorliegende Band widmet sich Wenses Wanderungen durch Ostfalen, und Röhnert legt dem Leser nahe, selbst auf den Spuren dieses Buches, die Gegend um Göttingen zu erkunden. Doch auch wer nur bei der Lektüre bleibt, dem kann, da ist sich Röhnert sicher, diese Prosa die Augen öffnen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Kein besseres Antidot gegen das Gefühl einer immer unwirtlicher und unwirklicher werdenden Welt als diese Prosa, welche die Terra incognita der Mittelgebirge feiert. Jan Röhnert FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240208







