Am 16. Oktober 2017 um 14.58 Uhr wird Daphne Caruana Galizia, die bekannteste Investigativjournalistin Maltas, durch eine Autobombe getötet. Der Mord erschüttert die Welt. Ihre erstmals in diesem Buch zusammengetragenen Einzeltexte ergeben ein erschreckendes Gesamtbild. Caruana Galizia begreift als eine der Ersten, wie sich ihr Land Malta unter Beteiligung höchster Regierungskreise in ein Epizentrum der internationalen Geldwäsche wandelt. Die Journalistin belegt dies in ihren Artikeln und Blog-Einträgen und wird zur Zielscheibe von mächtigen Gegnern. Trotz Diffamierungskampagnen, Drohungen und tätlicher Gewalt recherchiert sie weiter, bis sie am 16. Oktober 2017 in der Nähe ihres Hauses einem Attentat zum Opfer fällt.
Als Caruana Galizia ermordet wurde, schrieb sie an einem Buch, das sie nie vollendete. Ihre drei Söhne, Andrew, Matthew und Paul, haben nun die einzelnen Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammengestellt. Sie haben zu Ende gebracht, was ihre Mutter begonnen hatte.
Als Caruana Galizia ermordet wurde, schrieb sie an einem Buch, das sie nie vollendete. Ihre drei Söhne, Andrew, Matthew und Paul, haben nun die einzelnen Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammengestellt. Sie haben zu Ende gebracht, was ihre Mutter begonnen hatte.
Der Mord an der Investigativ-Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 ist bis heute nicht aufgeklärt. Nun setzen ihre Söhne ihre Arbeit fort.
Von Matthias Rüb, Rom
Am 5. Oktober ist auf Malta eine Epoche zu Ende gegangen, in aller Stille. Mit einer Rede, die kaum anderthalb Minuten dauerte, verkündete der frühere Chef der sozialdemokratischen Arbeiterpartei und langjährige Ministerpräsident Joseph Muscat seinen Verzicht auf sein Parlamentsmandat. Muscat, mit 46 Jahren eigentlich im besten Politikeralter, zeigte sich zu seinem fast geräuschlosen Abschied von der Politik stolz auf die Erfolge, die er in seinen Führungsämtern erreicht habe.
Joseph Muscat kam im September 2008 als Nachrücker ins Parlament in Valletta. Drei Monate zuvor hatte er Alfred Sant als Chef der "Partit Laburista" abgelöst. Er setzte seine politische Laufbahn, die er 2004 als Europaabgeordneter in Straßburg begonnen hatte, daheim glanzvoll fort: Er gewann jede Wahl, bei der er kandidierte. Nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen von 2013 stieg er ins höchste Regierungsamt auf. 2017 wurde er bei vorgezogenen Wahlen triumphal im Amt bestätigt. Denn auf Malta, mit etwa einer halben Million Einwohnern der kleinste EU-Staat, brummte die Wirtschaft. Ausländische Investitionen flossen. Touristen kamen in Massen. Die jährliche Wachstumsquote lag bei sieben bis acht Prozent. Die Arbeitslosigkeit war faktisch abgeschafft. Muscat war der Sonnyboy der europäischen Politik.
Die Schattenseiten der jungen Demokratie auf Malta und zumal des maltesischen Wirtschaftswunders hatte seit 1990 die Journalistin Daphne Caruana Galizia ausgeleuchtet. Zunächst als Kolumnistin bei verschiedenen Tageszeitungen, von 2008 an dann mit ihrem eigenen Blog "Running Commentary", dem mit Abstand einflussreichsten journalistischen Produkt auf Malta. Ihre Enthüllungen brachten ihr vier Dutzend zivil- und strafrechtliche Klagen ein - von Vertretern aller Parteien. Am 16. Oktober 2017 wurde die 53 Jahre alte Mutter dreier erwachsener Söhne ermordet. Eine ferngezündete Bombe, unter dem Beifahrersitz ihres Kleinwagens versteckt, riss Daphne Caruana Galizia, wenige hundert Meter vom Haus der Familie in Bidnija im Nordwesten der Insel entfernt, aus dem Leben.
Der Abtritt Joseph Muscats erfolgte kurz vor dem dritten Jahrestag des Mordes an Daphne Caruana Galizia. Der ist bis heute nicht aufgeklärt, auch wenn mit der Verhaftung des Hauptverdächtigen Yorgen Fenech, eines der reichsten und einflussreichsten Unternehmer des Landes, im November 2019 Bewegung in die Ermittlungen gekommen ist. Schon im Dezember 2017 waren die drei mutmaßlichen Auftragskiller festgenommen worden. Die Männer mit einschlägiger Vergangenheit im kriminellen Milieu Maltas sollen den Sprengsatz gebaut, im Auto versteckt und schließlich per Handysignal gezündet haben. Sie warten seither in Haft auf den Beginn des Hauptverfahrens. Alle Welt weiß, dass die Tatverdächtigen den Mord nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag begangen haben. Als Mittelsmann und Geldbote zwischen den Auftraggebern des Mordes und den gedungenen Killern soll der mehrfach vorbestrafte Taxifahrer und Kredithai Melvin Theuma fungiert haben, der als Kronzeuge in dem Verfahren auftritt und unter Polizeischutz steht.
Fenech, der die Vorwürfe bestreitet, soll seinem Arzt gegenüber im Gefängnis geäußert haben: "Wenn ich untergehe, ziehe ich alle mit in die Tiefe." Manches deutet darauf hin, dass es sich bei diesen "allen" um engste Mitarbeiter von Ex-Partei- und Regierungschef Muscat handelt. Konkret um Keith Schembri, viele Jahre Muscats Kabinettschef, und Konrad Mizzi, zunächst Energie- und später Tourismusminister unter Muscat. Schembri und Mizzi, die kurzfristig in Untersuchungshaft waren, bestreiten beide, mit dem Mord an Caruana Galizia etwas zu tun zu haben.
In zahlreichen Blogeinträgen Caruana Galizias war das scheinbar unangreifbare Triumvirat Muscat-Schembri-Mizzi immer wieder vorgekommen. Vor allem im Zusammenhang mit dem Bau eines mit Flüssiggas betriebenen Kraftwerks für rund 600 Millionen Euro durch das Unternehmen "Electrogas" in öffentlich-privater Partnerschaft durch maltesische Unternehmen und in Kooperation mit Aserbaidschan als Gaslieferant. Miteigentümer und Geschäftsführer von "Electrogas" war Yorgen Fenech. Auf Fenech als Eigentümer konnte auch das in Dubai registrierte Finanzunternehmen "17 Black" zurückgeführt werden, über welches Bestechungsgeld in Millionenhöhe an Briefkastenfirmen in Panama fließen sollte, die Schembri und Mizzi gegründet hatten. Auf diese Firmen war Caruana Galizia beim Studium der "Panama Papers" gestoßen.
Daphne Caruana Galizias Söhne Matthew, Andrew und Paul haben nach dem Mord an ihrer Mutter deren investigative Arbeit mit eigenen Recherchen fortgesetzt - zum Fall "Electrogas", aber auch zu Privatisierungen im Gesundheitswesen oder zum Verkauf von maltesischen EU-Pässen durch die Behörden. Sie haben zudem eine Stiftung gegründet mit dem Ziel, Gerechtigkeit für ihre Mutter zu erlangen und um deren Nachforschungen weiterzutreiben. Die Brüder haben auch die wochenlangen Demonstrationen von Oktober und November 2019 in Valletta angeführt, die schließlich zum Sturz der Regierung Muscat führten. Und sie haben die Texte ihrer Mutter gesammelt und als Buch herausgegeben, das jüngst auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. (Daphne Caruana Galizia: "Sag die Wahrheit, auch wenn deine Stimme zittert". Mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Orell Füssli Verlag, Zürich 2020.)
Daphne Caruana Galizia hatte selbst erwogen, ihre scherzhaft als "Greatest Hits" beschriebenen wichtigsten Stücke in einem Buch zu veröffentlichen. Unter dieser Kapitelüberschrift versammelt das Buch zum Abschluss Zitate der Journalistin, die an ihrem dritten Todestag so wahr sind wie zum Zeitpunkt ihre Niederschrift: "Malta ist ein gefährlicher Ort, und wir können heute nicht mehr sagen, dass korrupte Politiker das Land so weit gebracht haben, denn es lässt sich nicht länger bestreiten, dass diese korrupten Politiker nur die Gesellschaft widerspiegeln." Und: "Allmählich kann man Angst bekommen. Ich glaube, eigentlich sollten wir mit kugelsicheren Westen und bewaffneten Leibwächtern herumlaufen und nicht sie. Wir sind jetzt wieder in einer Situation, in der wir Schutz vor unserer eigenen Regierung brauchen."
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»Eine spannende, wichtige und erschütternde Lektüre.«
Radio Ö1, ORF
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