Die Saigoku-Wallfahrt ist von den vielen Pilgerreisen, die man in Japan unternehmen kann, eine der bedeutendsten, längsten - und schwierigsten. Sie umfasst nicht weniger als 33 buddhistische Tempel, die alle Kannon, der Göttin des Mitgefühls, geweiht sind. Einige von ihnen stehen in und um Kyoto, der einstigen Haupstadt des Heian-Reiches (794-1185/92). Andere, die ältesten, liegen in teils unwegsamem Gebirge, einer sogar auf einer Insel. Sie sind nur mühsam mit öffentlichen Verkehrsmitteln - am Ende aber immer nur zu Fuß zu erreichen. Cees Nooteboom und Simone Sassen haben sich zweimal auf die Saigoku-Wallfahrt begeben, nahmen umständliche Anfahrten per Bus und Lokalbahn in Kauf, langwierige Aufstiege und nicht selten Treppen von 888 Stufen. Simone Sassen photographierte die Tempel in verschiedenen Jahreszeiten: bei Schnee, zur Kirschblüte und mit Herbstlaub - den Höhepunkten des japanischen Jahres. Cees Nooteboom beruft sich in seinen Texten auf die um 1000, also in der Heian-Zeit, von der Hofdame Murasaki Shikubu verfasste Geschichte vom Prinzen Genji, den, wie es heißt, ersten psychologischen Roman der Weltliteratur. Saigoku, ein Buch zum Lesen und Schauen, entführt uns in eine fernöstliche Welt der Stille, der Schönheit und uralter Mythen - in ein Japan fernab der geschäftigen Metropolen.
Sinnsuche kann ganz schrecklich sein, besonders wenn sie von anderen Leuten betrieben wird, die hinterher berauscht vom Finderglück, darüber schreiben. Umgekehrt wird man Cees Nootebooms Reisebericht vom japanischen "Pilgerweg der 33 Tempel", der nun - reich mit Fotografien seiner Frau Simone Sassen versehen - bei Schirmer/Mosel erschienen ist, gerade wegen seiner gelassenen Skepsis selbst dann schätzen, wenn man dem Gegenstand des Buchs am Anfang wenig Interesse entgegenbringt. Denn was der Autor, der die Pilgerroute im Abstand einiger Jahre mehrfach absolvierte, auf seinem Weg antrifft, sieht er mit der bewusst gewählten Perspektive des Fremden: "Auf dieser Reise waren Simone und ich vor allem unsichtbar, zwei bleiche Geister mit Kladde und Kamera, eigentlich in allen Tempeln die einzigen Außenstehenden." Nooteboom registriert wach, wo sich die Moderne in Form von Andenkenkitsch und "superdicken Luxuskarossen" vor die Tempeltradition schiebt, notiert den Wandel ohne kulturpessimistischen Groll, trägt aber gleichzeitig vor, was sich über die Gründungsgeschichten der jeweiligen Tempel noch berichten und manchmal sogar zeigen lässt. Nooteboom, der gestern seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert hat, demonstriert auch in diesem prächtigen Buch, wie aus Vorwissen und Detailbetrachtung Verständnis erwachsen kann; und dass der Autor es mit derart leichter Hand vermittelt, macht den Reiz dieses Bandes aus. Einmal, bei einer morgendlichen Zeremonie in der Bergeskälte, schreibt Cees Nooteboom: "Jedenfalls sind wir keine Zuschauer mehr, sondern Teil von etwas, das wir nicht zu begreifen brauchen."
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"Saigoku. Auf Japans Pilgerweg der 33 Tempel" von Cees Nooteboom. Photographien von Simone Sassen. Schirmer/Mosel Verlag, München 2013. 200 Seiten. Gebunden, 39,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der japanische Pilgerweg Saigoku ist ein faszinierendes Relikt aus einer vergangenen Zeit, berichtet Burkhard Müller. Die dreiunddreißig Tempel, die im Umkreis von Osaka und Kyoto liegen, nicht sehr verstreut, allerdings durch Wälder und lange, steile Treppen voneinander getrennt, sind Kannon geweiht, der Göttin des Mitleids und Erbarmens, die in unterschiedlichsten Formen verkörpert wird. Cees Nooteboom ist diesen Weg gegangen und hat versucht, seine Eindrücke zu Papier zu bringen, aber der Autor ist an seinem "narzisstischen abendländischen Ego" gescheitert, findet der Rezensent. In seinem Buch, "Saigoku" heißt es, wie der Weg selbst, wird alles unerbittlich aus der Perspektive eines distanzierten Beobachters geschildert, für Versenkung fehlt Noteboom die Geduld. Da ist es kein Wunder, dass ihn die "Magie der Tempelanlagen" gänzlich kalt lässt, meint Müller, und auch die Fotografien von Simone Sassen reißen das Ganze nicht wieder raus, bedauert er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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