"Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!"B/ "Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt!" Diese Worte machten Ernst Reuter, damals verantwortlich für Verkehr und die öffentlichen Versorgungsbetriebe im durch die Blockade abgeschnittenen Westberlin, auf der ganzen Welt berühmt. Wenige Monate später wurde er Oberbürgermeister und der Repräsentant der Stadt, die sich mitten im Spannungsfeld zwischen Ost und West befand. Im Gedächtnis geblieben ist der entscheidende Demokrat Ernst Reuter, der im Vehemenz und Leidenschaft die Belange der geteilten Stadt vertrat. David E. Barclay zeigt uns den unbekannten Ernst Reuter: den jungen Mann aus bürgerlichen Verhältnissen, der mit seiner Herkunft bricht und als sozialdemokratischer Parteijournalist und Wanderredner durch Deutschland zieht. Den Kriegsgefangenen, der sich, erschüttert durch seine Erlebnisse im ersten Weltkrieg, der KPD zuwendet und schließlich ihr Generalsekretär wird. Den Weggefährten Lenins, der letztlich aus der KPD ausgeschlossen wird, weil er die Ausrichtung der deutschen KP an der sowjetisch geprägten Komintern kritisiert. Den philosophisch orientierten Idealisten, der als pragmatischer, nun wieder sozialdemokratischer Kommunalpolitiker in Magdeburg und Berlin Karriere macht. Den Exilanten in Ankara, der von nichts anderem als der Heimkehr nach Deutschland träumt. Den distanzierten Intellektuellen, der sich während der Blockade zum Volkstribun und zur Stimme Berlins wandelt. Einfühlsam schildert Barclay diesen "merkwürdigen und hin und her gehenden Lebensweg" (Reuter), diesen Mann der Widersprüche und Brüche, der - mal als Beobachter, meist als Gestalter - an den großen Auseinandersetzungen seines Jahrhunderts teilnahm.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hans Jochen Vogel, von 1981-83 selbst Regierender Bürgermeister von Berlin, zeigt sich ausgesprochen angetan von diesem Buch. Nicht nur, dass es geeignet sei, der verblassenden Erinnerung an Ernst Reuter etwas entgegenzusetzen. Vogel betont die "beeindruckende Akribie", mit der der Autor vorgegangen ist, und dass hier so manche Quelle erstmals ausgewertet worden ist. Darüber hinaus sei es dem Autor hervorragend gelungen, Reuters Lebenslauf und seine politische Entwicklung nachvollziehbar zu beschreiben. Besonders gefällt Vogel auch die Darstellung von Persönlichkeiten, denen Reuter in seinem Leben begegnet ist. Dies lese sich nicht nur "fast wie das Inhaltsverzeichnis eines biografischen Kompendiums der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts", sondern beeindrucke dank der plastischen Darstellung vor allem dadurch, dass es Reuter und sein politisches Handeln im zeithistorischen Kontext fassbar mache. Darüber hinaus zeigt dieses Buch nach Vogels Ansicht, wie sehr manche von Reuters Ansichten, beispielsweise über "die Großstadt der Zukunft" auch heute von Relevanz sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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