Bevor der kleine Schornsteiner seine Mission als Glücksbringer erfüllen kann, muss er auf einer langen Reise zahlreiche Hindernisse überwinden. Er entkommt einem gierigen Chamäleon und manchem fiesen Mädchen, das keinen Sinn für Talismane hat; er flieht sogar aus einem Marmeladenglas. Schließlich führt es ihn, einer inneren Eingebung folgend, nach Köln, wo ihm die heilige Holzkuh den entscheidenden Tipp gibt. Versteckt in einem Blumenstrauß erreicht der Glücksbringer endlich sein Ziel: Das Baby Leonard Faust.Ein bezauberndes Märchen über einen eigensinnigen Schutzengel von einem der besten Illustratoren unserer Zeit.
Dieser Talisman reist per Mädchen: Nikolaus Heidelbachs neues Bilderbuch "Schornsteiner" schwelgt in Braun.
Von Katharina Laszlo
Nikolaus Heidelbachs neues Bilderbuch über die Reise eines kleinen Talismans stellt vieles in Frage, was wir über Talismane zu wissen glauben - und über Bilderbücher. Dass der titelgebende Held in "Schornsteiner" Glück bringen soll, scheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich. Er liebt die Dunkelheit auf eine nicht ganz unverdächtige Art, ist überheblich gegenüber Tieren, Kindern und anderen Glücksbringern und wird nicht müde zu betonen, er habe hier einen Job zu erledigen und bis auf einen ungeplanten Aufenthalt in einer Kiste voller Flohmarktramsch noch nie richtig Urlaub gemacht. Mit seinen schwarzen Händchen und dem pusteblumenähnlichen Propeller auf dem überdimensionalen, mondrunden Kopf umgibt ihn auch keine vertrauenserweckende Aura. Trotzdem sucht Schornsteiner zielstrebig nach seinem "neuen Chef", wie er es nennt, reist von Belgien nach Köln, zu Fuß, per Modellflugzeug und mit dem Auto, vor allem aber - Heidelbachs Lesern wird dieses Transportmittel als widerspenstiges und unberechenbares bekannt sein - per Mädchen.
Es gibt kein angemessenes Wort, um all die Mädchen-Figuren zu charakterisieren, durch deren schwitzige Hände Schornsteiner wandern muss, bevor er sein Ziel erreicht (ein finster dreinblickendes Baby namens Leonard Faust). Sie heißen Else oder Frieda, Erika oder Olga, prügeln sich, sind "kurzsichtig" und "gierig", haben aus unerklärlichen Gründen Blumendraht in der Hosentasche und eine Vorliebe für fusselige Lutscher aus den Turnbeuteln ihrer Freundinnen, für die sie sogar einen Glücksbringer wie Schornsteiner eintauschen.
Heidelbachs Zeichnungen, in ihrer Mischung aus Schemenhaftigkeit und beinahe übertriebener Genauigkeit an luzide Träume erinnernd, zeigen die Mädchen mit schlammpfützenbraunem oder waldmausbraunem oder champignonbraunem Haar, das sie zu ganz oben auf dem Kopf sitzenden, sehr engen Pferdeschwänzen binden. Sie sind wunderschön - nicht wie Illustrationen in einem Kinderbuch, sondern wie aufdringliche, interessante, lebendige Menschen.
Auch der Text scheint die Charaktere weniger zu beschreiben, als sie dabei zu belauschen, wie sie ihr Leben leben. Vieles bleibt dabei, wie im Leben und im Lauschen üblich, ein Rätsel. Woher weiß etwa eine Möwe "natürlich", dass ein Talisman sich erst einmal selbst Glück bringen muss? Poesie entsteht so beiläufig wie Schornsteiners Reiseplanung - mal durch eine scheinbare Dahingesagtheit, mal durch einen Überfluss an Ausrufezeichen, mal durch Vergleiche, die Fragen eher aufwerfen, als sie zu beantworten: "Schornsteiner blieb ruhig wie ein Balken."
Überhaupt "Schornsteiner" - ist das nun ein Nachname, eine Berufsbezeichnung oder eine Beschimpfung aus der Feder eines früheren Chefs? Vielleicht ist das Glück, das Schornsteiner beschert, gerade die Unmöglichkeit, ihn jemals vollständig zu beschreiben. Dass man ihn kennenlernen muss und kennenlernen will, macht dieses Buch über die Unbeschreiblichkeit der Dinge zu einer ebenso vieldeutigen, schillernd lebendigen Kreatur, wie sein Held eine ist.
Nikolaus Heidelbach: "Schornsteiner".
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2017. 44 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 5 J.
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»Ein verrückt-schönes Märchen mit einem entzückenden Talisman und einigen unverwechselbaren Heidelbachschen Mädchen.« Jury 'Die besten 7 Bücher für junge Leser', Deutschlandfunk, 9/2017 »Klug ausgedacht, charmant umgesetzt, ansprechend bebildert, mit pfiffigen Rätselspannungsbogen [...].« Jürgen Reuß, Badische Zeitung, 30.8.2017 »...ein phantastisches Spektakel der hintersinnigsten Art.« Manuela Kalbermatten, Neue Züricher Zeitung, 4.10.2017 »Ein verrückt-schönes Märchen und ein entzückender Talisman.« Schweizer Familie, 5.10.2017 »Nikolaus Heidelbach ist Kult! Das beweist diese genial-schräge Geschichte um den Talisman Schornsteiner erneut. Kaum hat man angefangen zu lesen, ist man verzaubert - vom Ton der Geschichte, von den Bildern, von den Figuren.« Kim Kindermann, Deutschlandfunk Kultur, 14.11.2017 »Heidelbach hat ein Talent für skurrilen Humor und erweist sich nicht nur als brillanter Zeichner und Illustrator, sondern auch als begnadeter Erzähler mit trockenem Humor und feiner Ironie. Die Illustrationen zu diesem Buch sind kleine Kunstwerke für sich ...« Rolf Brockschmidt, Der Tagesspiegel, 21.11.2017 »'Schornsteiner' besticht durch das Zusammenspiel von Magie, Eigenwilligkeit und Komik. Und wer bereit ist, sich gemeinsam mit dem kleinen, aber selbstbewussten Talisman auf eine Reise ins Ungewisse zu begeben und auch vor einem klein wenig 'komischen Schrecken' nicht zurückschreckt, findet mit 'Schornsteiner' die ideale (Vorlese-)Lektüre.« Les(e)bar, 12/2017 »Nikolaus Heidelbachs Bilderbuch ist zart subversive Poesie: Hier finden Sie, was Sie in einem solchen Werk nie vermutet haben.« News, 7.12.2017 » ... schauerlich und wunderbar« Verena Lueken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.2017 »Nach der Lektüre dieses Buches sieht man Talismane mit anderen Augen.« Marion Meier-Rietdorf, DIE WELT, 31.12.2017