"Nun, ich bin auch Europäerin. Schlimmer noch, Osteuropäerin, ein Kind der 'Bloodlands', um die Formulierung von Timothy Snyder zu verwenden. Ich denke, das erklärt viel." Oksana SabuschkoIntensive Beziehungen zwischen Schwestern oder Mädchen sind das Leitthema der in "Schwestern" miteinander verflochtenen Erzählungen. Gleichzeitig zeichnet diese Sammlung persönliche und politische Narrative der Ukraine nach. Das Mädchen Daryna, Protagonistin der ersten beiden Erzählungen, wächst in der sowjetischen Unterdrückung auf. In "Schwester, Schwester" wird aus der Perspektive eines ungeborenen Kindes über die Tragik nicht-realisierter Lebensmöglichkeiten reflektiert. Ihre Schwester erzählt in "Die Mädchen" über sexuelle Erfahrungen und verknüpft damit Genderfragen und soziale Rollenbildern in der sowjetischen und postsowjetischen Ukraine. Von einem Volksmärchen inspiriert ist "Die Schneeballflöte". Eine solche wird zur Stimme der Gerechtigkeit in den seelischen Abgründen zweier Schwestern und verwirft dabei das Stereotyp von Schuld und Sühne. In "Ich. Milena" löst sich die Identität einer zunehmend schizophrenen Fernsehmoderatorin in einem medialen Hyperraum auf.Oksana Sabuschko, die wichtigste ukrainische Autorin der Gegenwart, schreibt mit frappierender Offenheit aus einer alltäglichen Realität, die "zu viel Geschichte für einen Quadratmeter" enthält. Vielseitig in Stil und Blickwinkeln bietet sie einen unterhaltsamen und anspruchsvollen Lesegenuss.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensent Christian Thomas erweitert seine Ukraine-Bibliothek mit Oksana Sabuschkos "Schwestern". Die Wissenschaftlerin, Lyrikerin und Autorin sammelt darin insgesamt vier Erzählungen, die alle in der Ukraine spielen und sich mit Angst, Erinnerungen, Schwesternschaft oder ukrainischen Volksmärchen beschäftigen, erklärt Thomas. Die Erzählstimme ist dem Rezensenten zufolge vielschichtig, sowohl von alten als auch neuen Einflüssen geprägt und von Alexander Kratochvil treffend ins Deutsche übersetzt. Nicht zuletzt würdigt er den Band als Möglichkeit, durch die Ukraine in den eigenen vier Wänden zu reisen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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