Marktplatzangebote
2 Angebote ab € 7,69 €
  • Broschiertes Buch

Sigusch gewährt mit dieser Sammlung seiner besten verstreut publizierten Essays Einblicke in die Fragen, mit denen sich die Sexualwissenschaft befasst. Können Säuglinge einen Orgasmus haben? Wie sieht heute die Jugendsexualität aus? Ist der klitoridale Orgasmus reifer als der vaginale? Wie ist Aids vergesellschaftet worden? Welche Erkenntnisse haben sexuelle Experimente im Labor erbracht? Was ist natürlich am Sexuellen? Ist die Homosexualität angeboren oder erworben? Wie funktioniert die Paartherapie? Kann die Sexualität definiert werden? Was heißt Geschlechtswechsel? Besonders reizvoll an…mehr

Produktbeschreibung
Sigusch gewährt mit dieser Sammlung seiner besten verstreut publizierten Essays Einblicke in die Fragen, mit denen sich die Sexualwissenschaft befasst. Können Säuglinge einen Orgasmus haben? Wie sieht heute die Jugendsexualität aus? Ist der klitoridale Orgasmus reifer als der vaginale? Wie ist Aids vergesellschaftet worden? Welche Erkenntnisse haben sexuelle Experimente im Labor erbracht? Was ist natürlich am Sexuellen? Ist die Homosexualität angeboren oder erworben? Wie funktioniert die Paartherapie? Kann die Sexualität definiert werden? Was heißt Geschlechtswechsel? Besonders reizvoll an diesem Buch ist die Spannung, die dadurch erzeugt wird, dass Sigusch neben leicht lesbaren Traktaten, wie 'Von der Kostbarkeit Liebe', theoretisch anspruchsvolle Beiträge, wie den 'Satz vom ausgeschlossenen Geschlecht', präsentiert. Ein lustvolles Lesevergnügen.
Autorenporträt
Volkmar Sigusch, Arzt und Soziologe, ist einer der angesehensten Sexualwissenschaftler der Gegenwart. 1972 wurde er auf den neu eingerichteten Frankfurter Lehrstuhl für Sexualwissenschaft berufen und gründete das gleichnamige Institut. Er ist Autor zahlreicher Publikationen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2005

Zwischenrufe eines Sexgelehrten

Nicht nur die Kritische Theorie, auch die Kritische Sexualwissenschaft nimmt das Ganze der Gesellschaft in den Blick. Wie könnte sie anders? Volkmar Sigusch, Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft der Universität Frankfurt am Main, weiß aus jahrzehntelanger wissenschaftlicher und praktischer Arbeit als Arzt, daß an der Sexualität nichts Natürliches ist. So kommt er gar nicht umhin, der Gesellschaft ins Auge zu schauen, wenn er sexuelle Phänomene, Moden, Krankheiten und Diskurse in den Blick nimmt. Ein trotz Unterteilung in Texte zur Sexualkultur, Sexualmoral und Sexualwissenschaft etwas kraut-und-rübenhaft angerichteter Sammelband mit tagespolitischen Stellungnahmen und theoretischen Gedankenstücken aus mehr als dreißig Jahren legt davon beredt Zeugnis ab (Volkmar Sigusch: "Sexuelle Welten". Zwischenrufe eines Sexualforschers. Psychosozial-Verlag, Gießen 2005. 267 S., br., 24,90 [Euro]).

Wenn man von Hirnchirurgen hört, die beanspruchen, Homosexualität durch das Zerstören von Hirnpartien "heilen" zu können - und zu sollen! -, ist man leicht davon überzeugt, daß sich seit den Tagen von Karl Kraus' "Sittlichkeit und Kriminalität" in sexualibus nicht viel geändert hat. Aber hat sich nicht alles verändert? Sigusch beschreibt in großen Linien einen Wandel sowohl der Formen als auch der Bedeutung von Sexualität. Das Paradigma der sexuellen Befreiung aus den sechziger Jahren scheint sein Programm abgearbeitet zu haben und in Hedonismus, Enttäuschung, aber auch der annähernden Gleichberechtigung sexueller Minderheiten ausgelaufen zu sein. Für die Gegenwart konstatiert der Sexualwissenschaftler eine Umstellung der am Sexuellen haftenden Vorstellungen von der "Befreiung" auf die "Geschlechterdifferenz". Statt um Ausbruch und Erfüllung geht es heute um Problematisierung und Identität, um soziale Geschlechterrollen, um die realen wie imaginierten Übergangsformen zwischen Frau und Mann, Homo- und Heterosexualität.

Zugleich beobachtet der Sexgelehrte einen Wandel der Obertöne, wenn vom Sexuellen gehandelt wird. Nicht mehr Lust prägt die Züge des Sexus, sondern Angst. Vergewaltiger, Kinderschänder, Perverse, Ansteckungsgefahr, Gewalt: dies sind die paradigmatischen Assoziationen, die das Sexuelle seit einiger Zeit vor allem mit sich führt. Wie gerne wüßte man nun, ob dies nur "Diskurseffekte" sind, semantische Verschiebungen, oder ob sich beispielsweise im Zeitalter des Internet tatsächlich qualitativ und quantitativ neue Formen des Kindesmißbrauchs entwickelt haben. Einigermaßen schnöde wird man hier mit dem Hinweis abgespeist, daß sich diesbezüglich ältere und neuere Daten aus strukturellen Gründen nicht vergleichen lassen, "weil sich unser Bewußtsein verändert hat. Was früher als normal angesehen worden ist, würde heute mit Sicherheit von vielen als sexueller Mißbrauch oder Übergriff verstanden werden."

Sosehr die Problematik einleuchtet, würde man nicht, wenn schon nicht vom Kulturkritiker, dann aber doch vom Wissenschaftler erwarten, sie zu durchdringen, statt dem Gegeneinander-Abgeriegelt-Sein von Paradigmen das Wort zu reden? Die (wiederholte) Formulierung, daß Pädophile ihren Fetisch, das Kind, so ernst nehmen, "wie es kein Fernsehapparat fertig bringt", ist als Weigerung, in die allgemeine Hysterisierung einzustimmen, verständlich, wälzt aber als Kulturkritik einfach nur abgestandene Klischees vor sich her. Der Sexualwissenschaftler und der Kulturkritiker scheinen sich nicht zu ergänzen, sondern einander im Wege stehen.

Dabei ist Siguschs eigene Charakterisierung der zeitgenössischen sexuellen Welten als "neosexuelle Revolution" durchaus ambivalent und komplex angelegt. Die Pluralität von sexuellen Lebensstilen und Praktiken sieht er mit doppeltem Blick als Auflösung von Blockaden und Tabus, aber auch als zwanghaften Konsum einer warenförmigen Sexualität, als neoliberales Selbstmanagement von Narzißten, die auf Love Parades die Sau rauslassen, um am Montag morgen wieder gesellschaftskonform zu sein. Alsbald dringt aber stets der Theoretiker des großen schlechten Ganzen durch, der von oben aufs sexuelle Gewusel blickt und, offensichtlich jeder Begründungspflicht enthoben, feststellt: "Partnertausch und Gruppensexualität sind an kleinbürgerlicher Stupidität kaum zu überbieten."

Es ist Siguschs Kulturkritik, die ihn mitunter so leichthin über die sexuellen Formen hinwegspringen läßt. "Verstofflichung" heißt sein Verdikt, das nicht so leicht zu erfassen ist, auf jeden Fall aber noch schwärzer sein soll als die "Verdinglichung". Die "Verstofflichung", die Verwandlung des Menschen in Material, hat dabei eine reale und eine metaphorische Seite: realiter paßt sie gut ins biotechnologische Zeitalter, in dem der Mensch als Ersatzteillager und Zuchtobjekt mehr als eine Denkmöglichkeit geworden ist. Metaphorisch kann sie wohl aber nur denjenigen, der durch Jahrzehnte adornitischer Exerzitien entsprechend eingewöhnt sind, für die Triftigkeit des Urteils einnehmen, daß wir alle lebende Tote sind. Wer in seinem Gesellschaftsbild den Individuen und der Kommunikation gar keinen grundbegrifflichen Stellenwert einräumt, der sieht am Ende vielleicht auch nicht mehr wirklich genau hin, was diese Individuen da treiben. Das ist die Gefahr der grundbegrifflich pessimistischen Gesellschaftskritik: Odysseus ist entfesselt, die Sirenengesänge haben das Wachs in seinen Ohren zum Schmelzen gebracht. Da merken wir auf einmal: Odysseus ist taub.

MICHAEL ADRIAN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Adrian unterscheidet zwischen dem Sexualwissenschaftler und dem Kulturkritiker Volkmar Sigusch. Der eine zeichne ein durchaus "ambivalentes und komplexes" Bild von den unnatürlichen Veränderungen, denen Sexualität seit den sechziger Jahren unterworfen ist. Weniger differenziert dagegen agiere der Kulturkritiker Sigusch, der sich mit pessimistischen Grundbegriffen wie "Verstofflichung", sosehr sie beispielsweise biotechnologische Denkweisen angemessen seien, eine neugierig lebendige Analyse versperre. Wer den modernen Menschen "adornitisch" nur noch als lebenden Toten begreife, so Adrian, schaue nicht so genau hin, "was die Individuen da treiben". Historisch beschreibe Sigusch eine "Umstellung" der Sexualitätsvorstellung vom Paradigma der Befreiung hin zu einer Infragestellung der Geschlechterrollen. Nicht mehr Lust, sondern Angst sei das Charakteristikum der "neosexuellen Revolution". Angst um die eigene Identität und ob der öffentlichen Diskurse zu Kinderschändern, Vergewaltigern etc. Beim Thema Pädophilie folgt der Rezensent durchaus Siguschs Polemik gegen "die allgemeine Hysterie" wenn dieser betont, dass Pädophile ihren Fetisch, das Kind, ernster nehmen als Fernsehapparate, doch das Argument selbst sei ein "abgestandenes Klischee". Hier blockiere wieder einmal der Kulturkritiker weiterführende Fragen des Sexualwissenschaftlers.

© Perlentaucher Medien GmbH
…mehr