KRIMITIPP: „Sophie L.“ von Matthew BlakeMit „Anna O.“ legte Matthew Blake 2024 einen der raffiniertesten Thriller des Jahres vor. Nun setzt er mit „Sophie L.“ noch eins drauf – das finden wir jedenfalls.
Was ist Erinnerung? Und kann es sein, dass wir Dinge erinnern, die so gar nicht stattgefunden haben? Und wie gut kennen wir uns selbst, unsere Eltern oder Großeltern? Was wissen wir wirklich von ihnen? Um diese großen Themen herum baut Matthew Blake seine fantastische und extrem beunruhigende Geschichte, die weit in die Vergangenheit zurückreicht.
Eine der Hauptfiguren ist Gedächtnisexpertin Dr. Olivia Finn. Sie lebt gemeinsam mit ihrem sechsjährigen Sohn TJ in London. Ein Anruf wirft ihr Leben aus der Bahn. Sie muss sofort nach Paris reisen, dort lebt ihre Großmutter Josephine Benoit. Sie ist eine berühmte Malerin, mittlerweile 96 Jahre alt und hat altersbedingt Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis. Ihr bekanntestes Bild hängt im luxuriösen Hotel Lutetia – und genau da ist Josephine hingegangen, hat sich ins Foyer gesetzt und behauptet, sie hätte jemanden umgebracht und sei übrigens gar nicht Josephine Benoit, sondern Sophie Leclerc. Was ist hier los? Eben das muss Olivia herausfinden. Genauso wie Capitaine Vidal von der Pariser Abteilung der DNPJ, der Nationaldirektion der Kriminalpolizei.
Der Mord soll 1945 in Zimmer 11 des Hotels geschehen sein. Nach Kriegsende wurde das Lutetia zum zeitweiligen Wohnort von Überlebenden der befreiten Konzentrationslager. Traumatisierte Menschen, abgemagert, mit kahlgeschorenen Köpfen. Daneben amerikanische GIs oder britische Verbindungsoffiziere. Und nicht zu vergessen natürlich französische Widerstandskämpfer. Im Prolog erfahren wir: Es gab offenbar tatsächlich eine Tote in Zimmer 11. Die Frage ist nun: Wer ist die Großmutter von Dr. Olivia Finn wirklich? Josephine? Oder doch Sophie? Für Olivia Finn wird die Reise nach Paris zur emotionalen Achterbahnfahrt.
Die Frau, die Olivia als ihre Großmutter und als Josephine kennt, wurde berühmt mit ihren Porträts. Das Bild, das im Lutetia hängt, heißt „Memory“; in dessen Mittelpunkt sitzt eine junge Frau in Zimmer 11, trägt gestreifte Häftlingskleidung. Für Olivia Finn, die Gedächtnisexpertin, ist klar, warum das Bild so viele Menschen bewegt: „Es handelt von einer der wichtigsten Fragen im Leben: Wer sind wir ohne unsere Erinnerungen?“ Der Schock sitzt jedenfalls tief bei Olivia. Sie macht sich Vorwürfe, ihre Gran zu lange alleingelassen und das verdrängt zu haben, zumal sie langsam dement zu werden scheint. Aber ist das wirklich so?
Doch das herauszufinden, dafür bleibt Olivia keine Zeit mehr. Denn ihre Großmutter erlebt den nächsten Tag nicht mehr. Ein Auftragskiller erstickt sie im Schlaf. Welches Geheimnis durfte auf keinen Fall ans Licht kommen? Welche Erinnerungen ihrer Vergangenheit holte Gran an die Oberfläche? Was, wenn alles, was Olivia über ihre Großmutter zu wissen glaubte, eine Lüge war? Und welche Rolle spielt die Verbindung zur Familie de Villefort?
Louis de Villefort war ein enger Freund von Olivias Großmutter und eine Legende als Psychotherapeut in Paris. Davor hatte er im Widerstand gekämpft, seine ersten Patienten nach Kriegsende waren Überlebende aus den Konzentrationslagern. Und viel, viel später war auch Olivia Finn bei Louis in Therapie ...
Nun taucht, nach 20 Jahren, sein Sohn Édouard auf, Olivias Jugendschwarm. Der Sohn einer Legende zu sein, hat ihm nicht gutgetan: Partys, Drogen, unzählige Frauengeschichten. Doch nun hat er sein Leben im Griff – sagt er. Doch kann Olivia ihm trauen? Denn Édouard war in der Nacht, in der Gran ermordet wurde, in deren Wohnung – um Olivia zu unterstützen. Er ist niedergeschlagen worden. Doch so etwas kann man auch inszenieren – meint jedenfalls Capitaine Vidal. Er vermutet den Grund für die Ermordung von Gran in der Vergangenheit. „Wir leben alle noch im Schatten des Zweiten Weltkriegs“, sagt er. Erinnerungen seien wie ein „Eisberg – das meiste bleibt unter der Oberfläche. Aber nur weil es nicht zu sehen ist, ist es nicht weniger tödlich“. Und wer weiß schon, wie er handeln würde, wenn es um Leben und Tod ginge? Im Krieg zum Beispiel. „Wenn du nur überleben kannst, indem du einen anderen Menschen tötest, würdest du es dann tun?“
Mehr dürfen wir hier auf keinen Fall verraten. Ein herausragender Thriller, ein Lesevergnügen – intelligent, spannend und vielschichtig. Wir sind begeistert!
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