Das Ende der Geschichte ist erneut vertagt. Der Krieg ist zurück in Europa.Die Ukraine ist erst der Anfang! Der russisch-ukrainische Krieg ist weit mehr als nur ein europäischer Regionalkrieg. Weltweit hat er die Nationalstaaten zu Spurwechseln gezwungen. Diese Dynamik verändert unsere Lebensrealität in einem bislang kaum vorstellbaren Ausmaß. Der Militärökonom Marcus M. Keupp analysiert diese erzwungene Neuordnung der Welt und erklärt, warum wir nicht nur vor einem neuen Kalten Krieg stehen, sondern vor einer welthistorischen Grundsatzfrage, die sich in diesen Tagen entscheidet.So hat der russisch-ukrainische Krieg die Deutschlandfrage neu gestellt. Erstmals seit 1945 muss das deutsche Volk selbst entscheiden, wohin die Reise gehen soll. Kein großer Bruder in Moskau, kein alliierter Kontrollrat entscheidet mehr, wo die Grenzen des Handelns liegen. Man muss Position beziehen, erklären, wo man steht: Welche Weltanschauung vertritt man? Will man eine nationalistische oder pluralistische Gesellschaft sein, befürwortet man den autoritären Kollektivismus oder den liberalen Individualismus? Und steht man auf dem Boden des Völkerrechts oder liebäugelt man mit einer brutalen Weltordnung schrankenloser Macht? In dieser inneren Zerrissenheit spiegelt sich die welthistorische Dimension des Krieges.
Einen nüchternen Blick auf Russland in Zeiten imperialer Kriege wirft Marcus M. Keupp laut Rezensent Thomas Speckmann. Der Autor argumentiert, dass Russland sich zwar wirtschaftlich mehr und mehr vom Weltmarkt abkoppele, daraus jedoch nicht folgt, dass das Regime geschwächt wird - vielmehr wird es sogar gestärkt, da sich die lokale Wirtschaft auf niedrigem Niveau selbst tragen kann, zumindest solange in dem nach wie vor von Rohstoffexporten abhängigen Land der Ölpreis mitmacht. Ein Ende der Kriegswirtschaft kann sich Russland jedoch in Keupps Augen auf die Dauer nicht leisten, der Krieg ist der einzige Wachstumstreiber, deshalb muss er weitergeführt werden, mittelfristig nicht unbedingt in der Ukraine, sondern vielleicht eher in abgelegeneren Ländern Zentralasiens. Die imperiale Weltsicht wird Russland jedenfalls nicht so schnell aufgeben, so Speckmann mit Keupp, für den Westen heißt das, dass er, was ja auch bereits geschieht, sich von der Appeasementpolitik der Vergangenheit verabschieden und den Ukrainekrieg als das betrachten muss, was er ist: als den Konfikt zweier grundverschiedener Vorstellungen über die Welt. Illusionen darf man sich über das russische Handeln jedenfalls nicht mehr machen, lernt Speckmann von diesem klug argumentierten Buch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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