Ásta Sigurðardóttir (1930-1971) war eine Ausnahmeerscheinung. Schon ihre erste Erzählung 1951, »Sonntagabend bis Montagmorgen«, sorgte für Aufsehen, da sie nicht in die beschauliche isländische Gesellschaft passte. In ihrem Leben, das geprägt war von Liebschaften, Schwangerschaften und Kindern, von Unmengen an Alkohol und unbändigem Schaffensdrang, fand Ásta weder Ruhe noch Frieden. Umso erstaunlicher sind Präzision und Radikalität ihrer Geschichten sowie der sprachliche Glanz ihres Schreibens. Jede der 13 Geschichten, die sie bis zu ihrem frühen Tod verfasst hat, steht wie ein Solitär für sich, strahlt fast unheimliche Souveränität aus. Ihre Figuren zählen nicht zum klassischen Literaturrepertoire, es sind Tagediebinnen, junge Frauen, die sich nicht für ihr sexuelles Begehren schämen, verschüchterte Kinder, einsame gealterte Damen: beschädigte und überforderte Existenzen, getrieben von unstillbarer Sehnsucht.Ásta Sigurðardóttir Erzählungen ermöglichen einen Blick in alltägliche Abgründe, in Verhärtungen und Vergeblichkeiten sowie in die Brutalität der Verhältnisse. Ihre lauernde Bedrohlichkeit beziehen sie daraus, dass sie Allgegenwärtiges beschreiben, das üblicherweise verdrängt und in seiner Zerstörungskraft unterschätzt wird. Tina Fleckens Übersetzung gelingt es auf eindrucksvolle Weise, die Unmittelbarkeit zu bewahren. Die Erzählungen überwinden sprachliche und zeitliche Distanzen spielend, haben keinerlei Kraft verloren und bohren sich so direkt in uns, wie sie es im Island der 1950er und 1960er Jahre getan haben. »Streichhölzer« ermöglicht endlich die verspätete Entdeckung einer großen isländischen Autorin.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Christiana Pöhlmann liest mit den Erzählungen von Ásta Sigurdardóttir Geschichten isländischer Frauen, die sich ganz von der üblichen Art und Weise abheben, in der isländische Sagen sonst so erzählt werden. Normalerweise spielten die Ahnenreihen eine wichtige Rolle, bei Sigurdardóttir aber stolpern die Figuren meist alleine durch ihr chaotisches Leben, so Pöhlmann. So liest sie von einer Frau, die wegen ihres sexuellen Begehrens von einer Künstlerparty geschmissen und dann möglicherweise - so ganz wird das nicht aufgelöst - Opfer einer Vergewaltigung wird, aber auch einem Mann, der seine Familie aus dem Haus geekelt hat oder einen Schwangeren, die sich zwischen ihren individuellen Wünschen und den Erwartungen der Gesellschaft hin- und hergerissen fühlt. Nicht nur die Tiefenbohrungen in die Verfasstheit der isländischen Gesellschaft überzeugen die Rezensentin, auch sprachlich ist sie beeindruckt: Der Regen beispielsweise fällt nicht einfach hinab, sondern die Regentropfen "trudelten zur Erde wie dem Tode geweihte Nachtfalter." Ein wichtiges Buch nicht nur der isländischen, sondern der europäischen Nachkriegsliteratur, schließt sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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