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Auf dem 1950 gegründeten "Kongreß für kulturelle Freiheit", dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte Ulrike Ackermann anhand der zeitgenössischen Quellen rekonstruiert, fanden sich europäische Intellektuelle zusammen, die sich in der Ablehnung beider Totalitarismen einig waren. Für das Gros der französischen Linksintelligenz jener Zeit stand fest, man müsse die Sowjetunion und ihre "Errungenschaften" um jeden Preis verteidigen. Erst Ereignisse wie die von Budapest (1956) und Prag (1968) sowie der "Gulag-Schock" der siebziger Jahre öffneten ihnen die Augen. Französische Intellektuelle…mehr

Produktbeschreibung
Auf dem 1950 gegründeten "Kongreß für kulturelle Freiheit", dessen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte Ulrike Ackermann anhand der zeitgenössischen Quellen rekonstruiert, fanden sich europäische Intellektuelle zusammen, die sich in der Ablehnung beider Totalitarismen einig waren. Für das Gros der französischen Linksintelligenz jener Zeit stand fest, man müsse die Sowjetunion und ihre "Errungenschaften" um jeden Preis verteidigen. Erst Ereignisse wie die von Budapest (1956) und Prag (1968) sowie der "Gulag-Schock" der siebziger Jahre öffneten ihnen die Augen. Französische Intellektuelle begannen einen intensiven Austausch mit den Dissidenzbewegungen Osteuropas und unterstützten sie. Anders die westdeutschen Linksintellektuellen: Ihr "Sündenfall" bestand darin, nach 1968 auf einen politisch blinden Antifaschismus zu setzen, der sie daran hinderte, sich mit der Realität des kommunistischen Totalitarismus angemessen auseinanderzusetzen. Deshalb konnte von tätiger Solidarität mit den verfolgten osteuropäischen Dissidenten keine Rede sein.
Autorenporträt
Ulrike Ackermann ist promovierte Sozialwissenschaftlerin. 2009 gründete sie das John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschungund und leitet es seitdem. 2008 wurde sie als Professorin berufen und lehrte bis 2014 Politische Wissenschaften mit dem Schwerpunkt „Freiheitsforschung und Freiheitslehre“ in Heidelberg.

Sie ist eine vielgefragte Rednerin und Autorin zahlreicher Bücher und Rundfunkessays.

Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2000

Immun gegen die ideologische Blindheit
Der Kongreß für die kulturelle Freiheit wird rehabilitiert: Prophetischer Antitotalitarismus

Ulrike Ackermann: Sündenfall der Intellektuellen. Ein deutsch-französischer Streit von 1945 bis heute. Mit einem Vorwort von François Bondy. Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 269 Seiten, 32,80 Mark

Im Oktober 1947 organisierten ein paar Intellektuelle in Berlin einen "Ersten deutschen Schriftstellerkongreß" - mit Heinrich Mann in der Rolle des Ehrenvorsitzenden und Ricarda Huch als Alterspräsidentin. Es ging darum, die Spaltung des deutschen Geisteslebens zu verhindern. Die Ideale des Humanismus, des Friedens und der Völkerfreundschaft wurden beschworen. Im Mittelpunkt stand die Rede von Johannes R. Becher. Ulrike Ackermann befaßt sich nun ausgiebig mit der Veranstaltung. Sie hat den Literaturwissenschaftler Hans Mayer befragt, der damals dabei war. Mayer erzählt von der Organisation der Tagung auf Initiative der sowjetischen Militärverwaltung - sie stand tatsächlich im Dienste der stalinistischen Propaganda, die damals auf Hochtouren zu laufen begann.

Zum Ereignis wurde der Kongreß indes aus einem anderen Grund. Seine Teilnehmer erlebten den ersten großen öffentlichen Auftritt von Melvin J. Lasky, dem einzigen ausländischen Gast, der nicht aus der Sowjetunion angereist war. Außer Programm wandte sich der junge amerikanische Journalist an die Anwesenden. Er kritisierte die Zensur- und Einschüchterungsversuche der Regierung seines eigenen Landes, dessen Umgang mit der intellektuellen Opposition alles andere als demokratisch vorbildlich sei. Kaum heftiger äußerte er sich zu den Zuständen in der Sowjetunion. Lasky war selber am meisten über das Echo auf seine Ansprache erstaunt. "Einer Bombe gleich hatte sie eingeschlagen", schreibt Ackermann. Und sie zitiert Hans Mayer: "Mit der Rede von Lasky war der Kongreß im Grunde zu Ende, der Kalte Krieg hatte begonnen."

Lasky zeigte sich bereit, die Verantwortung für seinen turbulenten Auftritt zu übernehmen. Sie bestand in einer historischen Aufgabe, der er fortan sein Leben widmete. Vor genau fünfzig Jahren gründete er den Kongreß für die Freiheit der Kultur. Seine Geschichte bildet das Kernstück von Ackermanns Werk. Akribisch beschreibt sie den Beitrag, den so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Arthur Koestler, Ignazio Silone, Raymond Aron, François Bondy, Albert Camus, Denis de Rougemont, David Rousset und andere leisteten. Dem in Deutschland erscheinenden "Monat" wurden Zeitschriften in Paris ("Preuves") und London ("Encounter") - auch in Italien - zur Seite gestellt. Ein steifer und eiskalter Wind wehte ihren Mitarbeitern ins Gesicht, denn der Zeitgeist - und die Mehrheit der Intellektuellen zumindest in Frankreich - hielt es mit dem Gegner. Der Kongreß für die kulturelle Freiheit wurde als antikommunistische Propagandazentrale im Dienste des Kapitalismus und Amerikas beschimpft.

Sein - unschönes - Ende bestärkte diesen Eindruck und schien ihn zu bestätigen. Im April 1966 enthüllte die "New York Times", daß der Kongreß nicht von den Gewerkschaften finanziert, sondern vom amerikanischen Geheimdienst CIA unterhalten werde - was selbst die Verantwortlichen um Lasky zu ignorieren schienen. Raymond Aron war erschüttert: "Von diesem Moment an entfernte ich mich vom Kongreß" - der nicht mehr lange überlebte. Der "Monat" erschien noch während eines Jahrzehnts (mit Chefredakteuren wie Klaus Harpprecht und Michael Naumann). Am längsten - bis 1990 - hielt sich der "Encounter".

Das Ende des Kalten Krieges hat eine veränderte Sicht auf die Arbeit des Kongresses ermöglicht. Doch hierzulande - in Frankreich gibt es die umfassende Darstellung von Pierre Grémion und eine Anthologie von "Preuves", auf englisch die Studie von Peter Coleman - ist seine Leistung nie wirklich gewürdigt worden. Diese Aufgabe erfüllt Ackermanns Buch. Sie macht deutlich, daß es sich bei den Persönlichkeiten im Zentrum und im Umfeld keineswegs um reaktionäre Konservative, sondern um linke und liberale, hoch gebildete und differenziert argumentierende Publizisten handelte. Sie waren auch europäische Pioniere - und was ihnen als "primärer Antikommunismus" unterstellt wurde, hat sich als geradezu prophetischer Antitotalitarismus entpuppt.

In der Bilanz darf der Beitrag zur politischen Kultur der Adenauer-Republik nicht übergangen werden. Wolf Jobst Siedler spricht von einem "Fenster zur Welt": "Als Studenten rissen wir uns die neuerschienenen Hefte buchstäblich aus den Händen. Bisher verfemte Namen, verbotene Debatten - im ,Monat' wurden sie geführt." Er stillte den Nachholbedarf einer Generation, die im "Dritten Reich" aufgewachsen war: "Was dachte man in Paris, London, New York, was war die Haltung von Arnold Toynbee oder Raymond Aron - in Laskys Zeitschrift stand es drin." Sind Renegaten die besseren Antitotalitären? Es gab sie im engsten Kreise des Kongresses: Arthur Koestler wie Ignazio Silone waren ehemalige Kommunisten, die Ideologie und Institutionen aus dem Innern kannten und kompetent kritisieren konnten. Später bekehrte sich eine neue Generation, die mit den marxistischen Dogmen groß geworden war, aber von der sozialistischen Wirklichkeit keinerlei Ahnung hatte, zu den liberalen Positionen. Ziemlich unvermittelt entdeckten die Achtundsechziger den Antitotalitarismus und die Kultur der Menschenrechte. Zwar wurden politische Denker wie Aron und Camus fortan kultisch verehrt - aber zu den Vorfahren und ihren Verdiensten haben sich die Vertreter der zweiten antitotalitären Generation nie wirklich bekannt. Die Überwindung des Marxismus beanspruchen sie weitgehend als ihre epochale Leistung.

In Frankreich erfolgte sie unter dem Eindruck des "Schocks Solschenizyn", der in Deutschland kaum zum Tragen kam. Ackermann hat beide Länder im Blick und stellt kompetent die Zusammenhänge zwischen den Generationen dar. Sie legt die Phasenverschiebungen frei und beschreibt die unterschiedlichen Begriffs-Auffassungen. Deutlich wird, daß die Arbeit des Kongresses keinesfalls wirkungslos blieb - und im stillen Engagement für die Dissidenten weiterging. Diese aktive Solidarität wiederum war eine Voraussetzung für die Wiedervereinigung Deutschlands - und Europas.

Daran erinnert François Bondy in seinem Vorwort. Die Autorin behandelt auch die Auseinandersetzungen um das "Schwarzbuch der kommunistischen Verbrechen" und die Debatten um den Vergleich der beiden Totalitarismen (Furet, Nolte). Den Auftakt macht sie konsequenterweise mit Jugoslawien: In den Diskussionen, die seinen Zerfall begleiteten, sind alle Positionen des Nachkriegs auszumachen - der militärische Einsatz im Kosovo wurde im Namen des triumphierenden Antitotalitarismus geführt. Ackermann analysiert den Kalten Krieg der Intellektuellen. Er hatte eine rote und eine braune Front - seine entscheidende Demarkationslinie aber blieb der Totalitarismus.

Ärgerlich und mißverständlich ist der abgenutzte Titel des Buches. Die Politikwissenschaftlerin schreckt vor keiner Polemik zurück - vor allem nicht gegen die unverbesserlichen Altlinken beider Deutschlands. Mit den Franzosen ist sie nachsichtiger. Aber ihr Buch handelt allenfalls in zweiter Linie vom Sündenfall der Intellektuellen. Es ist zuallererst eine - verdiente, willkommene, notwendige - Rehabilitierung jener, die gegen die ideologische Blindheit immun waren und gar nie an ein Paradies glaubten.

JÜRG ALTWEGG

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sylvia Schütz befasst sich eingehend mit der Untersuchung, die die unterschiedlichen politischen Ansichten von Intellektuellen in Deutschland und Frankreich beleuchtet, wobei sie den Hauptschwerpunkt des Textes in der Auseinandersetzung der Intellektuellen mit dem Faschismus und dem Kommunismus sieht. Die Rezensentin ermittelt als maßgebliches Quellenmaterial für die Studie die Diskussion von Ereignissen in Osteuropa in den wichtigsten "linksliberalen deutschen und französischen Zeitungen und Zeitschriften". Die Autorin - Politikwissenschaftlerin und Publizistin - mache deutlich, woraus die unterschiedliche Einstellung vor allem zum Kommunismus resultiert. Die Studie ist ein "Plädoyer für kritische Selbstreflexion und für die bewusste Wahrnehmung interkultureller Differenzen", meint die Rezensentin, die den Ergebnissen der Autorin insgesamt zuzustimmen scheint, ohne dies explizit auszusprechen.

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