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Sutter, ehemaliger Gerichtsreporter, seit kurzem Witwer, wird Abend für Abend von einem anonymen Anrufer heimgesucht - und schließlich, bei einem Spaziergang, angeschossen. Die Suche nach dem Täter führt ihn zu einem Jahre zurückliegenden Gerichtsprozeß, in dem es um Tod und Leben gegangen war. Im Erinnern stößt Sutter auf die Geheimnisse, die seine Frau Ruth mit ihrem Freitod hinterlassen hat und die er nun befragen und entwirren soll. Im kleinen Kosmos seiner Umgebung, die sich fortschrittlich wähnt und freundlich gibt, stößt Sutter auf all die Fallen, in die er zeitlebens immer wieder…mehr

Produktbeschreibung
Sutter, ehemaliger Gerichtsreporter, seit kurzem Witwer, wird Abend für Abend von einem anonymen Anrufer heimgesucht - und schließlich, bei einem Spaziergang, angeschossen. Die Suche nach dem Täter führt ihn zu einem Jahre zurückliegenden Gerichtsprozeß, in dem es um Tod und Leben gegangen war. Im Erinnern stößt Sutter auf die Geheimnisse, die seine Frau Ruth mit ihrem Freitod hinterlassen hat und die er nun befragen und entwirren soll. Im kleinen Kosmos seiner Umgebung, die sich fortschrittlich wähnt und freundlich gibt, stößt Sutter auf all die Fallen, in die er zeitlebens immer wieder getappt war. Sein Lebensroman, den er bald vor sich sieht, gleicht einem Krimi, in dem er die Rolle des Täters wie die des Opfers nur allzugern zu spielen bereit war.»Ein Krimi, ein philosophischer, in dem ein Leben und eine Lebensweise auf Spuren und Indizien abgesucht werden, um ihr Geheimnis und ihre bewußten wie unbewußten Lügen zu durchdringen. Ein großes Leseabenteuer«, urteilte Claus-Ulrich Bielefeld in der »Woche«.
Autorenporträt
Muschg, Adolf§
Adolf Muschg wurde 1934 als Sohn von Adolf Muschg senior (1872-1946) und seiner zweiten Frau in Zollikon, Kanton Zürich/Schweiz geboren. Er studierte Germanistik, Anglistik sowie Philosophie in Zürich und Cambridge und promovierte über Ernst Barlach. Von 1959 bis 1962 unterrichtete er als Gymnasiallehrer in Zürich, dann folgten verschiedene Stellen als Hochschullehrer, unter anderem in Deutschland (Universität Göttingen), Japan und den USA. 1970 bis 1999 war er Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. 1975 war Muschg Kandidat der Zürcher Sozialdemokratischen Partei für den Ständerat. Er wurde zwar nicht gewählt, äußerte sich nach wie vor regelmäßig zu politischen Zeitfragen. Adolf Muschg ist seit 1976 Präsident der Akademie der Künste Berlin, Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt sowie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Lesereisen führten ihn bisher nach Deutschland, England, Holland, Italien, Japan, Kanada, Österreich, Portugal, Taiwan, USA. Er lebt in Männedorf bei Zürich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2001

Et celera
Adolf Muschgs Roman "Sutters Glück" · Von Thomas Wirtz

Kaum etwas belastet den Lesemagen mehr als ein schlechter Zeitgeistroman. Geschaffen für den schnellen Verzehr, bleibt nichts von ihm zurück als seine Unverdaulichkeit. Nahe will er an die Phänomene heran, um den einen Moment des Konsums mit ihnen zu teilen. Sein Zeitmaß ist die Umtauschfrist, sein Blick auf den Kalender gilt dem Verfallsdatum. Das macht seine Gegenwart zu einer gehetzten. Nichts ist dem Zeitgeistroman verhaßter als die übliche Konfektion, die er selbst zu tragen verurteilt ist. Den Puls der Zeit will er fühlen und vergißt darüber seine eigene Starre. Sagen will er, was Sache ist, und listet doch nur Markenartikel auf. Als Marktbeobachter steigt er niemals in den gleichen Warenfluß.

Adolf Muschgs Roman gehört einer Gattung an, die nur wenige Buchstaben von diesem Zeitgeistroman trennt und die dennoch einer anderen Welt angehört. "Sutters Glück" ist ein Zeitroman, und daß er auf den Geist verzichtet, gehört mit zur kleinsprecherischen Bescheidenheit dieses großen Buchs. Ein Roman der Zeit ist es in einem doppelten Sinn: Zum einen handelt er von ihrem Verschwinden, das der Held als Leben zum Tod erfährt. Sutters Erinnerungen sind vergebliche Ankerversuche im Zeitstrom, am Ende ziehen sie ihn doch unter Wasser. Wiederholen, verlangsamen, ausblenden: Alle Spielarten der gedehnten Zeit werden ausgeschöpft, damit sie sich nicht zu hastig verbraucht.

Ein Roman der Zeit ist "Sutters Glück" aber auch deshalb, weil er in den Blick nimmt, was heute der Fall ist: Biopolitik, das Ende der Kunst, Geschwätz. Er stellt letzte Fragen, die im Jetzt spielen. Dieses Gefühl der Verantwortlichkeit macht ihn zum Teil einer großen Literaturtradition. Das Unaufgeregte seiner Form ist Bedingung für die ertragene Gegenwart, nur sie sichert ihm die Denkfreiheit vor den Tagesereignissen zu.

Wer vom Lesen nicht viel erwartet, könnte glauben, "Sutters Glück" sei ein Kriminalroman. Emil Gygax hat seine Frau Ruth an den Darmkrebs verloren. "Immer weniger" wurde sie, je mehr das Geschwür von ihr auffraß, bis sie im See von Sils Maria ihren Tod durch Selbstmord vorwegnimmt. Seitdem teilt Gygax - den seine Frau in Anlehnung an den Wahnsinnsmaler Louis Soutter nur Sutter nannte - das Haus mit Ruths namenloser Katze. Die Aufräumarbeiten zwischen ihren Hinterlassenschaften werden nur durch das Klingeln des Telefons unterbrochen, das allabendlich um 23 Uhr 17 die Nachtotenstille vernichtet. Sutter ignoriert die Drohung, bis er sich an sie gewöhnt hat. Als er meint, den Schmerz samt Erinnerungen in die Sperrmüllsäcke verstaut zu haben, und das Haus wieder verläßt, wird er am hellichten Tag durch die Brust geschossen. Er überlebt, doch der Schütze bleibt so unbekannt wie sein Zusammenhang mit der nächtlichen Ruhestörung.

Anschläge sind immer auch Anlaß einer Gewissenserforschung. In seinem früheren Arbeitsleben war Sutter Gerichtsreporter, und hier knüpft er bei seinen Selbstermittlungen wieder an. Vor allem der Prozeß gegen die Kalmückin Yalukha drängt sich vor, die ihren Gatten mit der Axt erschlug und ruhig ihre Verhaftung erwartete. Sutter hatte damals ein einfühlsames Porträt dieser Frau veröffentlicht, das haftmildernd ins Verfahren wirkte: Ein "Menschendichter" sei der Reporter Sutter gewesen, der die Notwendigkeit des Axtschlags erkennen wollte. Dieses Schreiben ist auch ein Eingriff in die Biographien gewesen: Mit seiner Fürsprache hat Sutter nachträglich am mythischen Gattenmord teilgenommen.

Soweit die Kriminalhandlung, die Muschgs Buch im Herzen gleichgültig ist. Schon auf den ersten Seiten blättert Sutter in vergessenen Taschenkrimis und narkotisiert sich am "Abgelebten der mordbezüglichen Verhandlungen". Damit ist über das Kriminaltechnische schon zu Beginn das letzte Wort gesprochen: Sutter ist ein bemerkenswerter Fall, nicht aber für die Polizei. Die ganze Beiläufigkeit des Attentats zeigt sich in dem Umstand, daß es bis zuletzt unaufgeklärt bleibt. Die Polizei verliert an ihm das Interesse, den Ärzten macht es nur Arbeit, und auch für Sutter ist es lediglich der Startschuß zur Introspektion. Überhaupt steht in diesem Buch jede Handlung unter dem Verdacht, für das Verstehen eher zufällig zu sein. Wenn Sutter am Schluß für immer sein Haus verläßt und ins Engadin aufbricht, überstürzen sich die Ereignisse. Mit jeder Straßenkurve nimmt die Geschichte eine neue überraschende Wendung, unwahrscheinliche Passanten steigen plötzlich hinzu, Geständnisse erfolgen mit der Abruptheit eines kaputten Getriebes. Als Kriminalroman wäre "Sutters Glück" ein Debakel, die erste Sonntagsfahrt eines Anfängers, der unmotiviert in den Gängen rührt.

Und doch hat das Kriminelle einen notwendigen, meisterhaft austarierten Platz. Wie die Suche nach dem Lungendurchschuß in das Innere des Opfers führt, so ist das Geständnis - Gipfelglück des Handlungsversessenen - nur die Perversion der wahren Rede. Muschg aber hat anderes im Sinn. Ihm geht es um die Wiederbelebung eines "Wortes von hohem Adel": Anstand, der Widerpart des Geständnisses. Nichts ist in diesem Buch falscher als das platte Aussprechen, nichts menschenfeindlicher als das hervorgezerrte Wort. In den besten Gesprächen bewegt sich Muschg mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen Andeutungen, die seinen Figuren ihre Integrität bewahren. Sie zu schützen ist die eigentliche Aufgabe, die Mitteilung nur der abzuwerfende Ballast des Verstehens. Dieses Andeuten eines Verborgenen bemüht immer wieder den Aphorismus. Sutter, so heißt es einmal, war "ein Feinschmecker des Klangs, mit dem ein Mensch zerbricht". Umwege sind seine Gänge durchs Leben. Zu Niederlagen werden sie erst mit dem Versuch, ihre Begradigung zu erzwingen.

Andeutungen sind das Fundament von Sutters Ehe mit Ruth. Ihrer letzten gemeinsamen Tage nimmt sich Muschgs Buch zu Beginn auf wunderbarste Weise an. Jeden Abend liest Sutter der Todkranken Märchen vor. Sie sind die Geheimsprache, mit der beide aneinander festhalten. Einige Zeit braucht der Leser, diesen gemeinsamen Verzicht auf Intimität als Respekt zu durchschauen. Nur so lange bleibt Ruths Satz befremdlich, mit dem sie damals in die Ehe einwilligte: "Ich glaube, ich kann dich gut aushalten." Näher können sich zwei nicht kommen als in diesem prüden Wort. Als Ruth ihrem Leiden im See ein Ende gemacht hat, rollt eine Schlammlawine über ihr Andenken hinweg. Freunde treten an Sutter heran, bis ins Komma hinein verdorben durch psychotherapiertes Geschwätz. Ihren Selbsterfahrungsgewinn aus Abendkursen laden sie auf Sutter ab, beichten Untreue und schwören Besserung. Diese Worte sind das eigentliche Attentat und ein zweiter Mord an Ruth. Die professionellen Selbstentblößer und krankenscheingenährten Selbstankläger bringen mit der Toten auch den Anstand unter die Erde.

Der hereinbrechende Terror der Intimität ist kein Zufall, sondern nur die Spitze von Muschgs Kulturkritik: An ihr wird "Sutters Glück" zum Zeitroman und - leider - von einem Schwächeanfall heimgesucht. Zu den eifrigsten Bußrednern gehört ein Künstler, der seinen Glauben an die Macht des Pinsels verloren und statt dessen das Geld gefunden hat. Seitdem bedient er die Mächtigen der Erde, etwa einen Mitarbeiter von Craig Venters Genomunternehmen "Celera", der ihm minutenweise Modell sitzt. Wie jeder Renegat liefert dieser Maler die Rechtfertigung für seinen Abfall gleich mit: "Wenn du die endlosen Buchstabenkolonnen der Genomsequenzen gesehen hast - Dadaismus total -, dann weißt du, die Kunst hat ihr Recht verloren . . . Romeo und Julia sind abgemeldet, Hugo und Celera übernehmen." Mit solchen Sätzen möchte Muschg aus dem Roman eines Todes auch das Begräbnis der Historie machen, im Konflikt von Anstand und Geschwätz geschichtsphilosophische Figuren gegeneinander aufwiegeln. Muschg hat die Revolutionen der Biopolitik aufmerksam auch in dieser Zeitung verfolgt (F.A.Z. vom 7. September 2000). In seiner Rede "Der Schriftsteller und die Gene" glaubte er noch, der schieren Gegenwart der Eiweißbasen durch "Lebensarbeit, im höchsten Fall Lebenskunst" begegnen zu können: Der Mensch erhält sich in einer Kunst, die den Defekt und das Gedächtnis erträgt. Anstand war das Mittel, diesen Auftrag der Humanität zu erfüllen. Wer daran festhält, so sagt es nun aber der Roman, der erleidet den Tod.

Das Glück, das der Titel verspricht, taucht nur ein einziges Mal im Text auf: als nämlich Sutter im See untertaucht. In einer letzten Anrede wird es dem Sterbenden zugesprochen: Sutters Bildung, dieser Inbegriff bürgerlicher Kultur, ist abgeschlossen, der Rückzug seine letzte Ablebensarbeit. Adolf Muschgs Zeitroman wird darüber zur Grablege. Nicht ganz entgeht das Buch der Gefahr, sich bei dieser Kulturkritik zu sehr auf seine Stichworte - Celera, die Plastifikation, Love Parade - einzulassen. In einem ansonsten großen Buch, das an Alteuropa festhalten will, sind dies die unglücklichsten Stellen: Sie werden selbst vom Geschwätz angegriffen. Ansonsten aber gilt: "Für den entschlossenen Blick ist so gut wie alles entbehrlich, für den melancholischen so gut wie nichts." "Sutters Glück" verdient diesen melancholischen Blick.

Adolf Muschg: "Sutters Glück". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 335 S., geb., 39,80 DM.

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