Produktdetails
- Verlag: GB Gardners Books / Harvard University Press
- Pr.
- Seitenzahl: 384
- Englisch
- Abmessung: 232mm
- Gewicht: 440g
- ISBN-13: 9780674914827
- ISBN-10: 0674914821
- Artikelnr.: 09585172
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Für Jungen und Mädchen ist der kleine Unterschied gewaltig: Eleanor Maccoby revidiert frühere Gleichheitsthesen
Der christliche Schöpfungsmythos von Evas Menschwerdung aus einer Rippe des Adam, von ihrer beider Abstammung aus "einem Fleisch" (Moses 2,24) wurde vom Patriarchat gründlich entzaubert. Überraschend kehrte er jedoch in der modernen Genderdebatte aus der Verdrängung zurück. Hartnäckig hält sich seitdem der besonders aus feministischer Sicht behauptete Irrglaube an die "Gleichheit" der Geschlechter. Der "kleine Unterschied" wird dabei eher widerspenstig als freudvoll in Kauf genommen. Das inzwischen historische und gescheiterte Projekt der siebziger Jahre, den Gleichheitsgrundsatz bereits im Kindesalter erzieherisch durchzusetzen, wird im Diskurs über die Geschlechtsidentität weitgehend verleugnet.
Auch die bekannte Genderforscherin Eleanor E. Maccoby, emeritierte Professorin für Psychologie an der Stanford University, bekennt in ihrem neuesten Buch, daß sie in ihren früheren Werken die Meinung vieler Forscher über einen nur unwesentlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern teilte. Noch in ihrem jetzigen Resümee scheint sie zu bedauern, daß die "Gleichheit" der Geschlechter, die es doch anzustreben gelte, offensichtlich nicht existiert. Tatsächlich weisen ihre gründlich recherchierten Studien der letzten zwanzig Jahre in eine ganz andere Richtung.
Die mutige Revision ihrer früheren Theorie beginnt die Autorin mit folgenden Ausgangsfragen: Ab wann wird der Geschlechtsunterschied im Lebensentwurf erkennbar, in welchen Formen äußert er sich, und wie gestaltet er das spätere Verhältnis der Geschlechter mit? Folgerichtig konzentriert sich Maccoby auf die Grundlagenforschung zur Entstehung der Geschlechtsdifferenz in der Kindheit. Internationale Vergleichsstudien in den Industrieländern, den Ländern der Dritten Welt und transkulturelle Feldbeobachtungen in einigen noch existierenden Naturvölkern zeigen eine überraschend hohe Übereinstimmung in folgenden Punkten: Die "Geschlechtertrennung" beginnt nach dem dritten Lebensjahr und hat um das sechste Lebensjahr bereits eine fest verankerte Struktur angenommen.
Die markantesten Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen betreffen die Formen der Gruppenbildung, das Spielverhalten und die Interaktion. Kennzeichnend für beide Geschlechter ist ihr Zusammenschluß zu gleichgeschlechtlichen Peergruppen und Freundschaften. Dabei tendieren Mädchen eher zu dem Versuch, sich auch an der Peripherie von Jungengruppen aufzuhalten und sich noch stärker an Erwachsenen zu orientieren. Die Peergruppen von Jungen dagegen schließen Mädchen in der Regel rigoros aus und grenzen sich radikaler von Erwachsenen ab. Im Spielverhalten bevorzugen Mädchen unaggressive Rollenspiele und als weiblich definierte Requisiten, während bei Jungen wilde, motorisch aktive und körperbetonte Spiele dominieren. Bei der Interaktion neigen Mädchen mehr zu einem kommunikativen, kompromißbereiten und Konflikte abschwächenden Beziehungsstil; die Interaktion von Jungen in der Peergruppe und unter Freunden ist dagegen stark durch Rivalisieren, Dominanzstreben, die Bildung von Hierarchien und körperliche Auseinandersetzungen bestimmt - Beziehungsformen, die Maccoby zu Recht für die Sozialisierung des bei Jungen und Männern stärker ausgeprägten Aggressionspotentials als unentbehrlich einschätzt.
Zur Begründung dieser Formen der "Geschlechtertrennung" bezieht die Autorin die Erkenntnisse der Evolutionstheorie, der Genetik, der Biologie und der Sozialisationsforschung mit ein. Ihr Fazit: Die Sozialisation durch die Eltern spielt bei der Entwicklung geschlechtstypischer Verhaltensmuster nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidender sei die wechselseitige Einheit und Verstärkung aus biologischer Prägung, dem Einfluß der Peers und die "Selbstsozialisierung" der Kinder durch ihre Orientierung, Nachahmung und Identifizierung mit den geschlechtseigenen Verhaltensnormen der Gesellschaft. So scheint die neue Forschung zu belegen, daß die beiden geschlechtstypischen Kindheitskulturen durch keine auf "Gleichheit" abzielenden Sozialisationstechniken aufzuheben sind.
Auf der Basis dieser Befunde beschreibt Maccoby in kurzen Kapiteln die Beziehung der Geschlechter in erwachsenen Paarbildungen, in der Berufswelt und in den Elternrollen. Auch hier läßt sich mit hoher Evidenz nachweisen, daß die in der Kindheit erfolgten Prägungen der eigenen Geschlechtsidentität weiter wirksam bleiben und die in den jeweiligen Begegnungsformen auftretenden Konflikte ausreichend erklären.
Maccobys Studie ist ein höchst informativer Beitrag zur aktuellen Genderdebatte. Ihre Vorschläge, wie das Dilemma der "Geschlechtertrennung" überwunden werden kann, fallen dagegen recht vage und in ihrer Tendenz eher skeptisch aus, weil die Autorin dem Mißverständnis von der "Gleichheit" aufsitzt, die es nach ihren eigenen Befunden nie geben wird. Jessica Benjamin hat aufgezeigt, daß es bei aller Akzeptanz der Verschiedenheit der Geschlechter vor allem darum gehe, neben ihrer "Gleichberechtigung" auch das Bewußtsein von ihrer "Gleichwertigkeit" zu schärfen. Nur so lasse sich ein komplementäres Gleichgewicht für ein produktives Emanzipationsbündnis von Frauen und Männern zur Neugestaltung der familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse herstellen. Dagegen bekennt Alice Schwarzer in ihrem Buch "Der große Unterschied": "Mein Traum ist der vollständige Mensch, bei dem das biologische Geschlecht eines Tages keine Rolle mehr spielt."
Adam und Eva doch aus einem Fleisch? Die Lektüre von Maccobys Studie und von Benjamins "Fesseln der Liebe" könnte helfen, solche Träume endgültig zu verabschieden, um sich den Realitäten im Interesse einer kooperativen Geschlechterdemokratie anzunähern.
HORST PETRI
Eleanor E. Maccoby: "Psychologie der Geschlechter". Sexuelle Identität in den verschiedenen Lebensphasen. Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Vorspohl. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 444 S., geb., 88,- DM.
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