Was ist die Liebe? Eine Kraft, die größer ist als der Mensch, überall und nirgends, ein all umfassendes Gefühl, wie eine Vibration im Weltall. Wir leiden, verzehren uns, fliegen zu den Sternen. Aber wer wusste je eine genaue Antwort? Guldbergs Erzähler findet keine Ruhe, bevor er nicht das Geheimnis der Liebe gelüftet hat. Rastlos treibt ihn die Frage durch fünf Jahrhunderte rund um die Welt. In Amsterdam, Berlin und New York sammelt er Liebesgeschichten: leidenschaftlich und zärtlich, zerstörerisch und rebellisch. Mit einem gigantischen Fernrohr sucht er die Liebe zu bündeln. Sein Experiment mündet in eine Katastrophe, eine Feuersbrunst vernichtet die ganze Stadt. Was ist die Liebe? Sie ist das unbeschreibliche Glück, von dem wir nie aufhören werden zu erzählen. Ein Roman von bewegender Schönheit.
Hier nimmt sich einer viel Zeit für sein Panorama der Liebeskultur. Eine Erforschung des Themas ist Torben Guldberg dennoch nicht geglückt. Sein Jahrhunderte umspannendes Romandebüt liebäugelt nur mit einem: der eigenen Idee.
Schon der Einband ist ein Missverständnis. Vergilbte Lettern auf existenzialistischem Schwarz, abgestoßene Kanten, die Ränder unten eingerissen. Ein Erstlingswerk im Vintage-Look. Als wäre dieses Buch schon in den Siebzigern von Hand zu Hand gegangen, als hätten es pubertierende Jugendliche Jahrzehnte später aus dem elterlichen Regal gezogen, um etwas über "gesunde Beziehungen und gleichberechtigte Kommunikation" zu lernen. Auch der Titel "Thesen über die Existenz der Liebe" schlägt genau jenen soziologisch angehauchten Ton an, der in Alt-68er-Kreisen so gut ankommt. Es scheint, als wollten Autor und Verlag an den Erfolg von Erich Fromms "Die Kunst des Liebens" anknüpfen. Doch ein Versuch, die Liebe sozialpsychologisch zu fassen, ist dieser Roman nicht. Torben Guldberg versucht einer viel weiter gespannte Erklärung.
In fünf Geschichten aus fünf Jahrhunderten spielt er verschiedene Formen der Liebe durch: Im sechzehnten Jahrhundert erleben die beiden Waisen Amalie und Frans eine mystische Einswerdung durch die Begegnung mit einem Kind, das wie sie selbst ohne Eltern aufwächst. Ihre dreifache Einsamkeit kulminiert in Amalies einzigartigem Gesang der Sehnsucht, der ganze Heere zur Verzweiflung bringt. Im siebzehnten Jahrhundert reist der lebenshungrige Maler und Frauenheld Gregarius mit Entdeckern und Kriegsflotten um die Welt, um als Schüler von Rembrandt die Liebe in der Malerei zu finden.
Die Epoche der Aufklärung treibt das junge Genie Hans und seine Geliebte Alma dazu, die Liebe im Wesen des Lichts zu suchen. Der Versuch, die Geschwindigkeit der Liebe zu messen, kostet den Forscher jedoch das Leben. Im neunzehnten Jahrhundert irrt der Philosoph Diderik als versponnener Idealist durch Europa, um die Ideen seiner Vorbilder Hegel, Schopenhauer und Nietzsche in die Praxis umzusetzen. Nach Stationen auf Freuds Couch und einem Leben als Diogenes in der Tonne muss er erkennen, dass Liebe nichts als purer Egoismus ist.
Im zwanzigsten Jahrhundert greift der brillante Kosmopolit Henrik Pingmann mit Adam Smiths "Unsichtbarer Hand" nach der Liebe, um ihre Käuflichkeit zu beweisen. Als er dann mit Pernille die Liebe in Echtzeit erlebt, flüchtet er in ein globalisiertes Leben als "makroökonomischer Therapeut" internationaler Organisationen.
Rahmenfigur für diesen Ritt durch die Jahrhunderte ist ein unsterblicher Erzähler, am Ende des Buches tausend Jahre alt, der zunächst als klassischer Rhapsode, später als Setzer in einer Druckerei, dann als Drehbuchautor Liebesgeschichten aus allen Jahrhunderten sammelt und weitergibt. Er ist es auch, der am Ende jedes Kapitels alles noch einmal zusammenfasst, verworrene Erzählstränge ordnet und ein Zwischenfazit für die Grundfrage "Was ist Liebe?" zieht. Mit poetologischen Einschüben und direkter Ansprache konterkariert er für den Leser den historisierend-gefühligen Gestus des Texts. Er betont die Zeitgebundenheit der Geschichten und ironisiert deren Langatmigkeit.
Genau hier steckt das Problem. Ausufernde, sich in Details verlierende Plots werden dadurch nicht spannender, dass sich der Erzähler der Rahmenhandlung im Nachhinein davon distanziert. Und gestelzte Sprache ("er spürte, dass er ohne Sicherheitsnetz fiel und auf diese Weise in die Tiefen der Liebe gelangte"), begriffliche Ungenauigkeiten ("ein Drama wie im Märchen") und mangelnde Stringenz der Handlung werden dadurch nicht erträglicher, dass der Erzähler sie später auf die Naivität der Berichterstatterin schiebt. Zwar ist bemerkenswert, wie Guldberg seine Geschichten mit historischem und philosophischem Wissen verwebt. Doch widerspricht er diesem Verfahren immer wieder mit dem Einwand, Theorien wie etwa Adam Smiths "Unsichtbare Hand" seien lediglich "bis an die Grenze des Brechreizes wiederholte Thesen".
Guldberg will es allen recht machen. Einerseits sollen Fans des romantischen Schmökers auf ihre Kosten kommen, andererseits will er das gelangweilte Weiterblättern einer intellektuell anspruchsvollen Leserschaft vorwegnehmen. Guldberg versteckt sich hinter der Autorität seines tausendjährigen Erzählers. Das hätte er nicht nötig gehabt. Auch ein 35-jähriger Debütant darf den Rotstift ansetzen und die Geschichte straffen, wenn ihm etwas nicht gefällt.
Natürlich kann auch dieses Buch das Wesen der Liebe nicht letztgültig ergründen - trotz eines die Jahrhunderte überschauenden Chronisten. Dennoch enttäuscht es, dass von 464 Seiten am Ende nicht mehr übrig bleibt als der Ratschlag, sich jetzt selbst auf die Suche nach der Liebe zu machen. Das klingt wie Erich Frieds Achtziger-Jahre-Weisheit "Es ist was es ist". Und die ist auch nicht mehr als eine "bis an die Grenze des Brechreizes wiederholte These".
SARAH ELSING
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Na toll, da wollte Sarah Elsing etwas über die Liebe lernen und stößt in diesem Buch bloß auf den Rat, die Liebe doch selbst zu suchen. Oder nicht ganz. Außerdem stößt die Rezensentin nämlich noch auf ein im Titel mit sozialpsychologischem 68er-Jargon lockendes Buch, das aber ganz und gar keine Studie a la Erich Fromm ist, sondern ein Versuch, die Liebe in fünf Geschichten aus fünf Jahrhunderten durchzuspielen, in der Malerei zum Beispiel oder als Egoismus. So weit, so gut. Bloß die schlauen Kommentare hätte Torben Guldberg sich sparen können. Wie immer man den gefühligen, ausufernden und, wie wir erfahren, auch begrifflich ungenauen und wenig stringenten Text finden mag, meint Elsing, Fans des romantischen Schmökers erst zu locken und dann abzuservieren, um eine intellektuelle Leserschaft zu gewinnen, gilt nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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