Wenn man sich den Verbrechen der Vergangenheit nicht stellt, kehren sie in Gestalt von Gespenstern wieder. Auch die sowjetische und postsowjetische Zeit erzeugt mit ihren verdrängten Verbrechen fortwährend neue Ungeheuer. Sergej Lebedew folgt in seinen Erzählungen in »Titan« dem vergifteten Erbe der Sowjetunion und seinen unheimlichen Spuren in der Gegenwart: von Tschetschenien bis zur Ukraine, von Katyn bis Berlin. Ein leeres Gebäude oder Gelände, ein Rauschen in der Telefonleitung können dabei zu Auslösern der Erinnerung werden. Obwohl Lebedews Geschichten jeweils für sich stehen, verbindet sie ein gemeinsames Thema, ein gemeinsamer, poetischer Raum. In diesem Raum ziehen die Schatten der Vergangenheit ruhelos umher, und die Toten rufen fortwährend nach Gerechtigkeit.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensentin Ilma Rakusa schätzt Sergei Lebedew für seinen gnadenlosen Blick auf die russische Vergangenheit, die vom Regime verfälscht und gewaltvoll unterdrückt wird. In den aktuellen Erzählungen beleuchtet der russische Schriftsteller die späte Sowjetzeit, in der für ihn typischen Mischung aus Mystischem, Gespenster- und Agentengeschichten, erklärt die Kritikerin, die beklommen etwa von einem Jungen liest, der in einer Scheune auf die Geister der jüdischen Opfer eines von den Deutschen verübten Pogroms trifft. In anderen Erzählungen trifft Rakusa auf die Toten aus den Straflagern der Taiga, während der Wind heult, Ikonen zu weinen beginnen und Flugzeuge vom Himmel stürzen. Die Kritikerin lobt nicht nur Franziska Zwergs Übersetzung und den Aktualitätsbezug der Erzählungen, sondern hofft auch auf deren "umstürzlerische Kraft".
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Beunruhigend aktuell, sind die Erzählungen zugleich von einer umstürzlerischen Kraft getrieben. Ilma Rakusa Neue Zürcher Zeitung 20240402







