Strafrechtler Thomas Fischer bietet nach eigener Aussage keinen Lehrgang zum Recht der Strafverteidigung (335), sondern möchte ein Grundverständnis dafür vermitteln, was Strafen in einer Gesellschaft bedeutet und welche Rolle es über seine unmittelbar alltägliche Wahrnehmung hinaus spielt (373).
Kein anderes Rechtsgebiet steht unter einem vergleichbar hohen Rechtfertigungsdruck und ist in der…mehrStrafrechtler Thomas Fischer bietet nach eigener Aussage keinen Lehrgang zum Recht der Strafverteidigung (335), sondern möchte ein Grundverständnis dafür vermitteln, was Strafen in einer Gesellschaft bedeutet und welche Rolle es über seine unmittelbar alltägliche Wahrnehmung hinaus spielt (373). Kein anderes Rechtsgebiet steht unter einem vergleichbar hohen Rechtfertigungsdruck und ist in der Presse derart präsent wie das Strafrecht und seine Anwendung.
Wie frei und verantwortlich handelt der Mensch? Ist die Entscheidungsfreiheit eine Illusion, wie Versuche der Hirnforschung nahelegen? Ist naturwissenschaftliche Kausalität bestimmend für menschliches Handeln? (30/31) Die Ergebnisse der Hirnforschung harmonieren nicht mit dem Selbstverständnis des Menschen. Fischer trennt Ursachen und Gründe. Selbst wenn die Freiheit des Willens eine Illusion ist, ist das Bewusstsein von Freiheit eine Wirklichkeit menschlichen Lebens. (34)
Strafrecht hat Berührungspunkte zu verschiedenen Fachdisziplinen, so auch zur Psychologie. Das gilt insbesondere für die Qualität von Zeugenaussagen. Erinnerung funktioniert nicht wie der Datenaufruf im Computer. Erinnerung ist eine kreative Rekonstruktion auf der Basis des jeweils aktuellen Gefühls- und Wissensstandes. (76) Erinnerung verändert sich nach Maßgabe der Gegenwart. Mit der Qualität von Geständnissen und Zeugenaussagen hat sich Fischer ausführlich in „Im Recht“ auseinandergesetzt.
Auffallend sind Fischers kritischen Ausführungen zur Darstellung von Kriminalität und Strafrecht in den Medien. Diese Kritik zieht sich durch das gesamte Buch. „Die Grenzen zwischen Bericht, Reportage, Fiktion und Analyse sind fließend geworden.“ (83) Talkshows, pseudo-dokumentarische Spielfilme, Internetforen und Gerichtsshows tragen ihren Teil bei zu einer undifferenzierten und inszenierten Strafrechtsthematisierung. In seiner Analyse kommen weder die Journalisten (fehlende Qualifikation) noch das Publikum (inkompetent) gut bei weg. (93)
Bei einem derartigen Rundumschlag stellt sich die Frage, ob Fischer auch selbstkritisch mit seiner eigenen Zunft umgeht. Er nennt Beispiele für Fehler in der Systematik des Strafrechts (159) und bemängelt den fehlenden Willen zur Korrektur (291). Den parteipolitischen Einfluss auf die Auswahl der Richter des Bundesverfassungsgerichts hält er für skandalös. (287) Die Justizverwaltung ist nicht frei von Mauscheleien und die Unabhängigkeit von Richtern hat ihre Grenzen, dennoch sei die Justiz von einer „beeindruckenden bürokratischen Zuverlässigkeit“ (325).
Zur Rolle der Justiz und deren Verantwortung gäbe es im Hinblick auf die unrühmliche deutsche Vergangenheit wesentlich mehr zu sagen. Auch bezogen auf die Gegenwart stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft den Manager eines Konzerns mit der gleichen Hartnäckigkeit verfolgt wie den Ladendieb. Fischer geht kritisch mit der Justiz um, aber im Verhältnis zu seiner Schelte an den Medien nicht kritisch genug. Dennoch handelt es sich um ein wichtiges Aufklärungsbuch eines erfahrenen Strafrechtlers.