Noch nie, heißt es, ging es uns so gut doch noch nie haben wir uns so schlecht gefühlt. Die neoliberale Ideologie durchdringt unser Leben inzwischen bis in den letzten Winkel: Sie prägt unsere Selbstwahrnehmung, unsere Beziehung zu unserem Körper, unseren Partnern und Kindern in anderen Worten, unsere Identität. Offenbar hat die neue Freiheit und Selbstverantwortung eine dunkle Kehrseite. Ihre implizite Botschaft lautet: Jeder kann perfekt sein, jeder kann alles haben. Wer versagt, hat sich nicht genug angestrengt; wer scheitert, ist allein schuld. Beschämung und Schuldgefühle sind die Folge, Wut, Aggression und diffuse Trauer, Selbstzweifel und "bipolare Störungen" oder gar Täuschung und Betrug, wenn es gilt, die ausufernden Leistungskataloge der modernen Arbeitswelt zu erfüllen. Keineswegs zufällig werden sie uns im Gewande objektiver, wissenschaftlich geprüfter Erfordernisse präsentiert, gegen die aufzubegehren zwecklos ist. In einer furiosen Anklage zeigt der PsychoanalytikerPaul Verhaeghe, welche Auswirkungen das Selbstverständnis einer Gesellschaft, die jeden Lebensbereich unter das Diktat der Ökonomie stellt, auf die Psyche der Menschen hat.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nichts Neues aus der immer größer werdenden Ecke der Ökonomiediktatkritik? Markus Huber empfiehlt Paul Verhaeghes bestsellende Streitschrift über die Kehrseiten unserer neoliberalen Kultur trotz gelegentlicher Überschneidungen mit Richard Sennet oder Foucault. Man kann es offenbar nicht oft genug sagen: Das Gespenst der Freiheit gebiert seine Monster bzw. das Unbehagen an der Kultur. Der Autor erklärt dem Rezensenten allerdings nicht nur, wie der Einzelne unter dem Erfolgsdruck leidet, sondern zeigt auch, dass die Bürokratie wuchert und das gesellschaftliche Gesamtgefüge erodiert, wenn jeder sich nur über die Wachstumsquote definiert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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