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1858 heiratete die englische Prinzessin Victoria den preußischen Thronfolger. Dieser bestieg als Friedrich III. 1888 den Thron und regierte nur 90 Tage. Seine Witwe zog sich vom politischen Leben zurück. Die Bedeutung der Mutter Wilhelms II. geht weit über ihren Versuch hinaus, Preußen nach englischem Vorbild zu liberalisieren. Die Beiträge des Bandes schildern das politische, soziale und kulturelle Engagement Victorias und ihre Rolle als hellsichtige Kritikerin der wilhelminischen Politik.

Produktbeschreibung
1858 heiratete die englische Prinzessin Victoria den preußischen Thronfolger. Dieser bestieg als Friedrich III. 1888 den Thron und regierte nur 90 Tage. Seine Witwe zog sich vom politischen Leben zurück. Die Bedeutung der Mutter Wilhelms II. geht weit über ihren Versuch hinaus, Preußen nach englischem Vorbild zu liberalisieren. Die Beiträge des Bandes schildern das politische, soziale und kulturelle Engagement Victorias und ihre Rolle als hellsichtige Kritikerin der wilhelminischen Politik.
Autorenporträt
Mit Beiträgen von Prinzessin Anne von Großbritannien, Rainer von Hessen, Sheila de Bellaigue, Barbara Dölemeyer, Inge Eichler, Michael Epkenhans, Niall Ferguson, Eckhart G. Franz, Margit Göttert, Iselin Gundermann, Patricia Kollander, Hannah Pakula und John C.G. Röhl.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2002

Eine englische Prinzessin in Deutschland

KRONBERG. Im Taunus ist Victoria Kaiserin Friedrich (1840 bis 1901) vor allem als Mäzenin und Stifterin in Erinnerung geblieben. Historikern aber bietet das Leben der Gemahlin des "99-Tage-Kaisers" Friedrich III. Diskussionsstoff, ob die für ihre Zeit erstaunlich weitblickende Frau den Untergang des zweiten deutschen Reiches und womöglich damit die Katastrophe zweier Kriege und des Nationalsozialismus hätte verhindern können. Im Sommer hatte sich die Hessische Hausstiftung bei einer Tagung auf der Burg Kronberg mit dieser Frage befaßt. Die Ergebnisse sind in dem Band niedergeschrieben, der das Leben der "englischen Prinzessin in Deutschland" in allerlei Facetten schildert.

Die Tochter Victorias von England und Albert von Sachsen-Coburg hatte 1858 den späteren Kaiser Friedrich Wilhelm geheiratet. Die Verbindung mit dem Thronerben war von ihren Eltern eingefädelt worden, um das konservative Preußen-Deutschland nach dem Vorbild des englischen Parlamentarismus zu modernisieren. Diese Mission scheiterte: Victorias Gemahl verpaßte 1862 die Chance, seinen konservativen Vater Wilhelm I. als preußischen König abzulösen, was Victorias Gegenspieler Bismarck den Weg zur Macht ebnete. Zwar wurde Friedrich Wilhelm 1888 zum Kaiser gekrönt, doch seine durch Krebs beendete Regentschaft unter Bismarcks Dominanz war zu kurz, um das Deutsche Reich gemäß Victorias Mission zu ändern. Von ihrem Sohn schließlich wurden Victoria und ihr Gemahl für "englische Agenten" gehalten: Als dieser seinem Vater als Wilhelm II. auf den Thron folgte, trieb er das Reich in den Ersten Weltkrieg und damit die Monarchie in den Untergang. Aus diesem Verhängnis gewinnt das politische Scheitern Victorias historische Brisanz: Hätte sie Erfolg gehabt, wenn ihrem Gemahl eine längere Regierungszeit vergönnt gewesen wäre? Wären spätere Katastrophen verhindert worden, wenn die Coburg-Mission Erfolg gehabt hätte? Diese Fragen treiben die Autoren des Bandes um.

Eine "unauflösbare Paradoxie" sieht der Tagungsleiter Rainer von Hessen in Victorias Leben, ein Scheitern mit der "Unausweichlichkeit einer antiken Tragödie": "Vicky" habe zwar die Schwächen des machtbewahrenden und visionslosen Bismarck-Reiches erkannt. Der einzige "faktische Beitrag" aber, den sie zur Zukunft des Staates leisten durfte, sei die Geburt ihres Sohnes Wilhelm gewesen, der das Reich dann in den Untergang geführt habe. Victoria starb 1901 in Kronberg, wohin sie aus dem feindlich gesinnten Berlin geflüchtet war. Dort hat die Kaiserinwitwe als Kunstfreundin und Stifterin Spuren hinterlassen - ein Wirken, das von der Rechtshistorikerin Barbara Dölemeyer illustriert wird.

Den größten Raum in dem Buch nimmt Victorias politisches Scheitern ein. Michael Epkenhans beleuchtet in einem zentralen Kapitel das Verhältnis der "englischen Prinzessin" zu Bismarck, der für sie "der gewalttätige kühne Junker" war. Epkenhans spart dabei die Schwächen der Protagonistin nicht aus, etwa ein "mangelndes Gespür für eine realistische Einschätzung der Grundprobleme europäischer Mächtepolitik" oder eine Unschärfe ihres realpolitischen Konzepts für Preußen und das Reich. Der Geschäftsführer der Otto-von-Bismarck-Stiftung vergißt nicht, darauf hinzuweisen, daß auch ihre Kritik am Reichskanzler aus späterer historischer Sicht mancherorts überzogen gewesen sei. Unterstützung erhält Epkenhans von der Autorin Patricia Kollander, der zufolge der politische Einfluß "Vickys" größer und das Bismarcksche System weniger festgefügt gewesen sei als gemeinhin angenommen.

Das vielleicht lebendigste Kapitel widmet der Geschichtsdozent John Röhl dem zerrütteten Verhältnis zwischen Victoria und ihrem Sohn Wilhelm II. Einen "Hang zum Angeben" und ein "Herumpfuschen" in der Außenpolitik warf sie dem letzten Kaiser vor, und als sie sich über seine Gefühlskälte nach dem Tod des Vaters beklagte, gesellte sich zu ihrer Kritik am Potentatengehabe die Tragik einer verstoßenen Mutter.

Das auch für Laien verständliche Werk wird mit Zitaten aus Victorias Korrespondenz angereichert, die jenseits aller wissenschaftlichen Analyse eine lebendige Nähe erzeugt. Dem Anspruch des Buches, sich an einen breiten Leserkreis zu richten, wäre aber noch besser gedient, wenn eine Zeittafel und ein Steckbriefverzeichnis der wichtigsten historischen Akteure beigefügt worden wären, ebenso Schaubilder zu den Verwandtschaftsverhältnissen in den europäischen Fürstenhäusern.

JOHANNES LATSCH

Rainer von Hessen (Herausgeber), Victoria Kaiserin Friedrich (1840-1901). Mission und Schicksal einer englischen Prinzessin in Deutschland. Frankfurt: Campus-Verlag. 228 Seiten. 22,90 Euro.

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