Der Mensch der Neuzeit bewegt sich fortschrittlich vorwärts und nach oben. In Zeiten der Krise jedoch gerät er ins Strudeln. Ihm wird schwindelig, er verliert sich. Der Vortex (Wirbel) versinnbildlicht solche Dynamiken der Orientierungslosigkeit, des Fortgerissenwerdens und der Entgrenzung.Vortex erkundet in sieben Kapiteln die existenziell-bedrohlichen Wirkungen von Wirbeln, Strudeln, Spiralen, Mühlen-, Propeller- und Turbinenbewegungen. Sie spiegeln lebensweltliche Daseinssituationen, die in Naturgeschichte, Film, Literatur, Kunst und Wissenschaft zur Darstellung kommen. Die schleudernden Zwingkräfte herrschen in unterschiedlichen Sphären - in der Natur, in kriegerischen oder industriell befeuerten Gesellschaften sowie in den Abgründen der Psyche. Die an Fortschritt gebundenen Vorstellungen von Welt- und Selbstverfügung werden hier brüchig, ihnen sind die Gefahren der Desorientierung bis hin zum Wahnsinn inhärent. Die sprachlichen und bildlichen Quellen bezeugen eine Faszination, in der sich Katastrophenfurcht und Ich-Enthemmung verdichten.Gunnar Schmidt rekonstruiert die Faszinationsgeschichte der Haltlosigkeit entlang der kulturanthropologischen Entwicklungen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Die erstaunliche Wiederkehr des Vortex als Symbol, Metapher oder Bild bezeugt die Notwendigkeit, das Unzähmbare in einer repräsentativen Formel zu erfassen. Situationen, in denen Menschen den Boden unter den Füßen verlieren, sind keinesfalls eine Sache der Geschichtlichkeit allein.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Materialreich und faszinierend ist diese Studie, findet Rezensent Alexander Roesler. Gunnar Schmidt widmet sich in ihr dem Vortex, also spiralförmigen Bewegungen, wie sie sich etwa im Wirbelsturm oder im Strudel manifestieren. Beispiele aus mehreren Jahrhunderten und diversen Künsten hat der Autor dem Rezensent zufolge zusammengetragen, das erste der sieben Kapitel widmet sich etwa dem Vortex des 16. Jahrhunderts unter anderem bei Athanasius Kircher, hier steht das Motiv noch ganz im Zeichen der Angst vor einer überwältigenden Natur. Später, lernt Roesler von Schmidt, etwa bei Poe, gewinnt der Mensch langsam mithilfe der Wissenschaft die Kontrolle über den Strudel, im "Wizard of Oz" erkundet er dank eines Himmelsvortex' fremde Welten, bei Hitchcock und überhaupt im 20. Jahrhundert entwickelt sich das Motiv weiter. Gelegentlich droht der Autor sich in Details zu verlieren, meint Roesler, insgesamt allerdings ist das Argument dieses starken Buches stringent und stellt dar, wie der Vortex seinen Schrecken verliert und für Fortschrittserzählungen nutzbar gemacht wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Bedrohliche (...) macht nicht nur Angst, sondern fasziniert zugleich: Diese Doppeldeutigkeit findet der Medienwissenschaftler Gunnar Schmidt in der Übermacht von Wirbeln, Spiralen und Strudeln, die alles mit sich fortreißen« (Michael Eggers, Philosophie Magazin, 04/2025) »Gunnar Schmidts Studie verhandelt eine Fülle von Beispielen und Deutungen.« (Alexander Roesler, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2025)