Was geschieht mit gut ausgebildeten, sich als gleichgestellt ansehenden, Frauen in der heutigen Zeit, wenn sie ein Kind bekommen? Lassen sich die Vorstellungen einer gleichberechtigten Partnerschaft und einer 50:50-Aufteilung der Verantwortung und Arbeit aufrecht erhalten? Zu welchen Veränderungen
kommt es psychisch, körperlich, geistig und sozial?
Dazu hat die Autorin Iris Keller, basierend…mehrWas geschieht mit gut ausgebildeten, sich als gleichgestellt ansehenden, Frauen in der heutigen Zeit, wenn sie ein Kind bekommen? Lassen sich die Vorstellungen einer gleichberechtigten Partnerschaft und einer 50:50-Aufteilung der Verantwortung und Arbeit aufrecht erhalten? Zu welchen Veränderungen kommt es psychisch, körperlich, geistig und sozial?
Dazu hat die Autorin Iris Keller, basierend auf ihrer eigenen Erfahrung, einen sehr interessanten und gut lesbaren, unterhaltsamen und nachdenklich machenden autofiktionalen Roman geschrieben.
Hier eines der vielen prägnanten Zitate dazu, dem ich nur zustimmen konnte beim Lesen:
"Und jetzt bemerke ich: Mein Partner hat einen männlichen Körper. Er kann laufen, er kann heben, sich bücken, seine Brüste sind entspannt, er muss nicht ständig pinkeln. Er kann schlafen, er kann trinken, er kann rauchen. Wegbleiben bis mitten in der Nacht. Das gemeinsame Projekt trennt uns, entfernt uns voneinander. Ich habe meinen Körper weggegeben und ich erwarte, dass er es genauso tut. Aber sein Körper bleibt wie zuvor." (S. 32 im E-Book).
Ja, beim Kinder-Kriegen zeigt sich, dass Männer und Frauen ja doch nicht in allem genau gleich sind, dass es gewaltige Unterschiede gibt, gerade auf körperlicher Ebene. Bücher wie dieses, die das detailliert beschreiben, leisten einen wichtigen Beitrag dazu, darauf aufmerksam zu machen, was für eine unglaubliche Leistung eine Frau vollbringt, die ein Kind in ihrem Körper austrägt, gebärt und stillt, und was für Kosten das für sie mit sich bringt, die in einer Zeit, die Geschlechterunterschiede gerne negieren will, oft unsichtbar bleiben.
Immer wieder wird im Buch sehr lebhaft und eindringlich beschrieben, was es körperlich alles bedeuten kann, ein Kind zu bekommen: "Sie erzählen von Geburtszangen, hineingeschoben, den Kopf des Babys umklammernd, den vielen Menschen, die um einen herumstehen, vom Ausgestellt-Sein und Angefasst-Werden." (S. 148)
Der Titel "Walwerdung" wird im Buch mehrdimensional betrachtet: es geht um den tatsächlich rund werdenden Körper der angehenden Mutter, aber auch um das Baby im Bauch, das dort wie ein Fisch im Wasser herumschwimmt, und es geht um tatsächliche Wale im Meer.
Die Schilderung der Schwangerschaft, Geburt und Babyzeit wird immer wieder durch sehr interessante Reflexionen zu Walen unterbrochen, die gut recherchiert sind und durch die ich viel Interessantes gelernt habe: beispielsweise, dass Wale von Landsäugetieren abstammen, die zurück ins Meer gegangen sind, wie viel Aufwand und Gefahr mit dem Schutz eines Walbabys durch die Mutter verbunden ist (dafür müssen sich beide zum Beispiel in wärmeren Gewässern befinden, weil es noch nicht über genug schützende Fettschicht für Kaltwasser verfügt), wie die Wale gejagt und fast ausgerottet wurden und um was für intelligente und individuelle Lebewesen, die mit ihren eigenen Klängen über weite Distanzen miteinander kommunizieren können, es sich doch handelt:
"10 000 Kilometer. Die längste Wanderung eines Säugetiers. Zwei Mal pro Jahr. In den Polarmeeren ist der Start. Mit zwanzig Stundenkilometern graben sie sich durch die Fluten. Schwimmen in kalten Gewässern unter Eisplatten durch, vorbei an verschneiten Eisbergen und treibenden Schollen. Tagelang, keine Pause. Ihre Körper stoßen auf und ab, wellenförmige Bewegung. Vorbei an Küsten, Ländern, Kontinenten. Weiter, bis zu den tropischen Gewässern." (S. 48 im E-Book)
Die Beschreibungen der Veränderungen im Zuge des Mutter-Werdens habe ich, die ich selbst ein kleines Kind habe, als äußerst treffend und authentisch empfunden und mich in vielem wiedererkannt. Interessant und zum Nachdenken anregend habe ich auch die Verbindungen zwischen Mutter-Werden und den Walen gefunden.
Sehr gut gefallen haben mir auch die Gedanken über die Biologin und Autorin Rachel Carson, über die die Ich-Erzählerin einen Beitrag für eine Zeitschrift schreiben will, und zu der sie immer wieder Parallelen zieht, denn auch diese hatte in ihrem Leben ganz unterschiedliche Aufgaben zu vereinbaren, sorgte neben ihrer beruflichen Tätigkeit für Nichten und Neffen und wurde spät im Leben noch Adoptivmutter.
Insgesamt hat mich dieses Buch sehr berührt, an meine eigenen Erfahrungen im Zuge des Mutter-Werdens erinnert und nachdenklich gemacht. Es ist voll von tiefsinnigen Gedanken und Ideen, denen ich weitere Verbreitung in der Gesellschaft wünsche und die es wert sind, ausführlich diskutiert zu werden. Gleichzeitig kann es jenen, die diese Erfahrung noch nicht gemacht, authentisch vermitteln, was alles damit einhergehen kann, als Frau ein Kind zu bekommen, auf vielen Ebenen. Und die, die das selbst erlebt haben, können sich in vielem erkannt und verstanden, und damit mit der Autorin und mit anderen Frauen verbunden fühlen.