Anwesend waren Traurigkeit, tristitia oder tristesse in George Steiners Prosa seit jeher: als Gedanke, Thema und Gestimmtheit. Nun aber stellt er sie, von Schelling ausgehend, in den Mittelpunkt einer Meditation über Glanz und Elend der Reflexion. Grundiert ist alles Denken durch Schwermut, die in jedem Gedanken vernehmbar bleibt und sich fortpflanzt - so die von Steiner gewählte kosmische Analogie - wie das Hintergrundrauschen als Echo des »Urknalls «. Zweiflerisch ist dieses Denken und durchdrungen vom Gefühl seiner Vergeblichkeit. Es ist unberechenbar und heillos individuell, verschwenderisch und kreisschlüssig, eingeschränkt in den Grenzen der Sprache, axiomatisch, neurophysiologisch determiniert. Es ist, als »Großes Denken«, weit entfernt von Mehrheitsentscheidungen und allgemeiner Anerkennung. Es ist aussichtslos, führt schließlich auf nichts. Und doch ist es die einzig menschenwürdige Anstrengung. George Steiners Schrift ist eine Variation in zehn Sätzen auf ein Thema von Schelling, das Produkt einer persönlichen Ästhetik, ein Stück Gedankenmusik, ein logisches Gedicht.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Martin Meyer sieht sich nach der Lektüre von George Steiners Traktat über die Traurigkeit des Denkens veranlasst, ihm ein aufmunterndes "Kopf hoch, Herr Professor" entgegen zu rufen. Gar zu trist gerät ihm offenbar Steiners Buch, das er in die Traditionslinie melancholischer Philosophen wie Schopenhauer, Heidegger und Adorno eingebettet sieht. Dabei stelle Steiner mit der Trauer und Melancholie, in die das Denken seiner Überzeugung nach führe, ein Kernproblem seines um Hinfälligkeit kreisenden Werkes ins Zentrum dieses Buches. Steiner handle in zehn Punkten ab, warum der Denker an einem unausweichlichen Ungenügen seines Denkens leide. In Optimismusverdacht gerät Steiner mit seinen Ausführungen wohl kaum, beobachtet der Rezensent, und kontrastiert Steiners trübseligen Befund mit erbaulicheren Denkpositionen, die die Grenzen des Denkens nicht betrauern, sondern sie anpackend zu überbrücken suchen (wie Leonardo) oder ihnen mit Humor begegnen (wie der Nietzsche der "Fröhlichen Wissenschaft").
© Perlentaucher Medien GmbH
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»So heiter traurig zu sein wie George Steiner, das wäre für uns alle wirklich ein Glück.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
