Produktdetails
- Verlag: Schöningh Verlag
- ISBN-13: 9783506993533
- Artikelnr.: 24969463
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Ein Band mit Beiträgen zur Frage, ob schwieriges Denken vor dreißig Jahren mehr geholfen hat.
Von Jürgen Kaube
Die vorliegenden Aufsätze sind das zeitgeschichtlich aufschlussreiche Dokument des Alterns von Zeitgenossen, die zwischen 1970 und 1985 überwiegend an der Freien Universität Berlin auf philosophische Touren kamen. Damals machte die Philosophie offenbar noch etwas her, stand in Kämpfen, universitären wie wissenschaftlichen, kam sich gefährlich vor, schien eine Lebensweise zu implizieren. Man studierte die letzten lebenden Klassiker. Schwierige Texte galten etwas.
Norbert Bolz hat den Band 1982 schon einmal herausgegeben und jetzt aktualisiert. Er selbst findet, dass seitdem vor allem die "political correctness", die Universitätsverwaltung sowie ein allgemeiner Konformismus im Geistigen zugenommen hat und hält dagegen Charisma, Askese und Transzendenz hoch, weil sie nicht modefähig seien. Doch der Appell zur Umkehr verschweigt, welche der vielen Laufrichtungen denn gemeint ist und ob der Appellierende sich selbst als Beispiel anbieten möchte. "Hauptsache echt, also wirklich echt nonkonform!", klingt nicht sehr weiterführend.
Ansonsten ist viel vom Ende der Philosophie die Rede. Jean-Luc Nancy fand sie schon 1979 dort angelangt, woraus folge, in den Schulen nurmehr ihr Vergangensein zu lehren und "diese Enteignung zu denken". Viel Vergnügen mit der Klasse. Immerhin mag es für die Philosophie eine Rolle spielen, dass die Zahl derer, die vom Gymnasium an die Universität kommen und gegen das, was ihnen dort begegnet, selbst einen philosophischen Text aufbieten, geringer geworden scheint.
Doch welche Argumente welcher Philosophen würden sich heute auch eignen, um sich gegen die Behauptung arrivierter Erwachsener zu wehren, alles besser zu wissen? Werner Hamacher etwa reiht vierzig Seiten lang Fragen ohne Fragezeichen aneinander, vielleicht um zu demonstrieren, dass man so lange die Unverbindlichkeit durchzuhalten vermag, jedwede Antwort auf jedwede Frage als unphilosophisch zu bezeichnen: Dekonstruktion als juste milieu eigener Art. Peter Sloterdijk schreibt über Heideggers "Politik", was auch nur so tut, als hätten jemals Machtfragen an einer Philosophie gehangen. Raimar Zons verabschiedet sehr schneidig die intellektuellen Totemtiere jener Jahre, vor allem Walter Benjamin.
Alles ziemlich trostlos, wenn da nicht ein Aufsatz wäre, der jedes Jahr einmal abgedruckt werden sollte: die hinreißend gelehrte Attacke des 2007 verstorbenen Philosophiegeschichtlers Wolfgang Hübener auf die Vorstellung, uns könnten nur Gedanken interessieren, die noch gegenwärtig sind. Sie nimmt die Panik aus der Diagnose, mit der Philosophie sei es zu Ende. Wer das liest und danach nicht Ideenhistoriker werden möchte, dem ist nicht zu helfen.
Norbert Bolz (Hrsg.): "Wer hat Angst vor der Philosophie?"
Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 239 S., geb., 29,90 [Euro].
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