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Longlist für den NDR Sachbuchpreis 2021
Wir stehen vor einem historischen Wendepunkt in unserem Verhältnis zur Natur: Mit der Coronapandemie sind zum ersten Mal die Auswirkungen der Arten- und Biodiversitätskrise für uns als Spezies Mensch größer als die globalen Folgen des Klimawandels. Lange schon haben Artenschutzexperten gewarnt, dass ein solches Virus durch den ausrottenden Handel mit Wildtieren entstehen wird. Haben wir diese Wucht, den kommenden Wandel noch im Griff?
Lothar Frenz hat bei Expeditionen - etwa in den Regenwald Amazoniens, nach Indonesien und Afrika - viele Aspekte
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Produktbeschreibung
Longlist für den NDR Sachbuchpreis 2021

Wir stehen vor einem historischen Wendepunkt in unserem Verhältnis zur Natur: Mit der Coronapandemie sind zum ersten Mal die Auswirkungen der Arten- und Biodiversitätskrise für uns als Spezies Mensch größer als die globalen Folgen des Klimawandels. Lange schon haben Artenschutzexperten gewarnt, dass ein solches Virus durch den ausrottenden Handel mit Wildtieren entstehen wird. Haben wir diese Wucht, den kommenden Wandel noch im Griff?

Lothar Frenz hat bei Expeditionen - etwa in den Regenwald Amazoniens, nach Indonesien und Afrika - viele Aspekte des Artensterbens und der Biodiversitätskrise erlebt. Eindrucksvoll zeigt er auf, wie vielschichtig die Probleme sind, die wir in den nächsten Jahren lösen müssen: Wie soll unsere Erde aussehen? Bietet sie genug Platz für die ständig wachsende Menschheit und alle anderen Lebewesen? Wer soll, wer darf mit uns hier leben - und wer nicht? Welchen Planeten wollen wir unseren Kindern hinterlassen? Dieser durchaus moralischen Frage müssen wir uns stellen. Ökologie aber kennt keine Moral, sagt Frenz, nur Folgen - und die betreffen das gesamte Ökosystem der Erde. Wir müssen also Kriterien entwickeln, um die Überlebensfrage zu entscheiden, die auch längst an uns gestellt ist. Wir brauchen ein neues Selbstbild, damit der Lebensraum Erde für uns Menschen weiterhin eine gute Zukunft bietet.
Autorenporträt
Lothar Frenz, geboren 1964, Biologe und Journalist, dreht Filme, u.a. für den NDR und das ZDF, schreibt Drehbücher und ist Autor des Magazins GEO. Zahlreiche populärwissenschaftliche Publikationen, darunter Lonesome George oder das Verschwinden der Arten(2012), das von der Deutschen Umweltstiftung als 'Umweltbuch des Jahres' ausgezeichnet wurde, und Wer wird überleben? Die Zukunft von Natur und Mensch (2021) das für den NDR Sachbuchpreis nominiert war. Über sein Porträt Ein Jahr mit Loki (2019) meinte der NDR: 'Lothar Frenz ist dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit so nahe wie kaum jemand sonst gekommen.' Er lebt in Hamburg.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Burkhard Müller rät dringend zur Lektüre dieses Buches, auch wenn er einige klare Einwände erhebt. Mit großem Interesse folgt er dem Biologen und Journalisten Lothar Frenz durch die Wildnis, liest von der erneuten Bedrohung der Spitzmaulnashörner, von Nashornfarmen in Südafrika oder von Vogelmärkten in Djakarta, wo Vögel zusammengepfercht wie Schnittblumen verkauft werden. Bedrückt erfährt Müller auch von den nicht selten "bizarren" Maßnahmen zum Schutz der Arten: Pandabären-Pfleger im Zoo sollen etwa Panda-Kostüme tragen und nach Panda-Urin riechen, damit die "kostbaren" Pandas sich nicht an Menschen gewöhnen, bevor sie ausgewildert werden, liest der Kritiker. Was ihn allerdings stört, ist Frenz' beharrliche Verwendung des Wortes "wir". Die Menschheit ist kein "Gesamt-Subjekt" ruft Müller Frenz und anderen Autoren, die zum Thema publizieren zu. Und wer alle anspricht, riskiert, dass sich niemand angesprochen fühlt, schließt der Kritiker, der allerdings zumindest über Frenz' Idee eines "Homo parasiticus", der sich "unaufdringlich" in das System unserer Erde wie "in einen Darm eingräbt" nachdenkt.

© Perlentaucher Medien GmbH
Wunderbar klug, anschaulich und zugewandt erzählt. ndr.de 20211028
Rettung in letzter Minute

Was, wenn es auf der Erde keine Wildnis mehr gibt? Lothar Frenz macht in seinem Buch „Wer wird überleben?“ einen Vorschlag

In Afrika gab es um 1900 eine Million Spitzmaulnashörner. Um 1970 war deren Zahl auf rund 65.000 gesunken, um 1995 auf 2.500. Dann griff ein weltweites Verbot für den Handel mit dem Nasenhorn, das in asiatischen Gesellschaften als Medizin und Statussymbol überaus geschätzt wird; die bisherigen Hauptabnehmer China, Taiwan und Südkorea zogen mit, die Bestände erholten sich. Da aber geschah in Vietnam die angebliche Wunderheilung eines Prominenten dank Nasenhorn, und ein neuer Markt tat sich auf. 2015 wurden schon wieder 2.500 Spitzmaulnashörner gewildert, so viel, wie zwanzig Jahre zuvor überhaupt noch am Leben gewesen waren.

Verbot und Schutz hatten also zunächst durchaus funktioniert, schließlich aber doch versagt. Sehen denn die Händler nicht, wenn sie schon sonst keine Rücksichten nehmen, dass sie den Ast absägen, auf dem ihre eigene Branche sitzt? So scheinen sie es aber keineswegs zu betrachten; vielmehr können sie kaum den Tag erwarten, an dem das letzte Nashorn abgeschossen wird, weil das ihrem lang schon gehorteten Schatz das Alleinstellungsmerkmal finaler Knappheit verliehe, wie dem Werk eines glücklicherweise verstorbenen Malers.

Was also tun? In Südafrika wurden Nashorn-Farmen gegründet, auf denen man regelmäßig Ernte hält – bis zu siebenmal in einem Nashornleben, das Horn wächst immer wieder nach, wie Fingernägel. Dort lagern inzwischen abgesägte Hörner im Wert von 50 Millionen Euro. Aber sie lassen sich, so lang das Handelsverbot gilt, nicht losschlagen.

Doch was geschähe, wenn der Handel wieder erlaubt würde? Würde das billigere Zuchthorn das teure Naturprodukt aus dem Markt konkurrieren? Oder ginge es umgekehrt, wie bei den Zuchtperlen, die dem „echten“ Produkt erst die besondere Aura verleihen, welche sich selbstverständlich im Marktpreis spiegelt? Und welche Zollbeamten könnten wohl, wenn überhaupt wieder gehandelt werden darf, den Unterschied von gewildertem und gezüchtetem Horn erkennen? Es sieht fast aus, als ob jede Maßnahme zum Schutz des Spitzmaulnashorns letztlich nur zum Brandbeschleuniger seiner Ausrottung wird.

Fallgeschichten dieser Art sind es, die den Kern des Buchs von Lothar Frenz, „Wer wird überleben?“, ausmachen. Dabei ist es gar kein pessimistisches und händeringendes Buch, sondern spricht von vielen Rettungen in letzter Minute. Selbst bei Spezies, deren Populationsziffer schon zum Einstelligen abgemagert war, ist es gelungen, wenigstens mittelfristig den Erhalt zu sichern. Sobald einmal die Falle der „Inzuchtdepression“ überwunden wurde, haben der Mauritius-Turmfalke und der Kalifornische Kondor eine echte Chance, bis auf weiteres erhalten zu bleiben. Und ein großer Sieg war es, dass die Wale, die schon am Rand des Untergangs standen, heute einigermaßen gerettet scheinen.

Frenz war in den entlegensten Winkeln der Welt unterwegs und weiß lebendig davon zu berichten. Er hat in einem noch ganz unerschlossenen Teil des Amazonas eine neue Art von Wildschweinen entdeckt, und dazu beigetragen, dass die größte Wildnis Afrikas, das Chinko-Gebiet, ein Areal von der Größe Österreichs, unter Schutz gestellt worden ist. Er hat sich auf den Vogelmärkten von Djakarta umgetan, wo Hunderte von Vogelarten und Millionen von Individuen in winzigen Vogelkäfigen zum Kauf angeboten werden, wie Schnittblumen – und wie solche welken sie hin in einer einzigen Woche und müssen dann ersetzt werden. Diese Reportagen sind auch emotional stark.

Und doch gibt es da eine Schranke in Erkenntnis, Stil und Darstellung. Diese Schranke hört auf den Namen eines einzigen kleinen Wörtchens, das man erst mal leicht überliest, das sich aber als der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Buchs erweist: wir. Nicht als ob Frenz diese Gefahr nicht spürte. Aber hier ist etwas Übermächtiges am Werk. Dieses „Wir“ (mit seinen Ableitungen „uns“ und „unser“) erscheint allein im zwei Seiten langen Prolog 24 mal.

Was ist falsch am „Wir“? Alles. Die Wahl dieses Wörtleins impliziert erstens, dass es letztlich bloß auf die Entscheidung der Menschen auf Erden ankomme, den Ereignissen eine rettende neue Richtung zu geben. Dass die Menschheit noch nie als ein solches Gesamt-Subjekt gehandelt hat, weil es nämlich keine gesamtmenschheitlichen Interessen gibt (nicht mal beim Klimawandel), das kann unter der Voraussetzung eines solchen „Wir“ nur zu blinder Aufregung führen, aber nicht zur Analyse, was hier eigentlich los wäre. Zweitens gewährt dieses emphatisch unklare Subjekt einen sehr bequemen Unterschlupf: Beim „Wir“ sind alle dabei, niemand muss sich ausgeschlossen fühlen – doch es wird auch niemand so direkt angesprochen, dass er jetzt wirklich etwas Bestimmtes tun müsste. Zustimmend zitiert der Autor einen Naturschützer: „Wir wollen also das vorhandene natürliche System so wiederherstellen, dass es möglichst unbeeinflusst von selbst läuft, indem wir die natürlichen Prozesse über lange Zeit fördern – mit einer großen Diversität von Lebewesen und zum Nutzen zukünftiger Generationen.“

Dieser bemerkenswerte Satz wird von seinen Widersprüchen bis zum Zerreißen angespannt: Dass hier etwas so beeinflusst werden soll, dass es unbeeinflusst funktioniert; dass das Vorhandene zu bewahren sei, indem man es grundsätzlich verändert; und dass die zweckfreie Vielfalt sich vor allem zu Nutz und Frommen künftiger Menschengeschlechter zu vollziehen habe.

„Natur“ im emphatischen Sinn kann eigentlich gar nicht geschützt werden; denn wo sie es wird, ist sie eben nicht mehr „Natur“, sondern Reservat von menschlichen Gnaden. Das gibt vielen naturschützerischen Maßnahmen, die das Buch schildert, ein so bizarres Gesicht. Die Pfleger der Pandabären im Zoo müssen Panda-Kostüme tragen und sich zuvor mit Panda-Urin bekleckern, damit die kostbaren Pandas sich bloß nicht an Menschen gewöhnen, wenn sie später „ausgewildert“ werden sollen. Der Waldrapp, eine früher in Europa häufige Ibis-Art, heute extrem selten, wird nicht nur von Menschenhand aufgezogen, sondern wenn die unerfahrenen Jungen zu ihrem Zug ins Winterquartier aufbrechen, weist ihnen ein Leichtflugzeug, von den menschlichen Zieheltern gesteuert, den Weg in den Süden. Darf man so etwas als einen Erfolg buchen?

Wenn ja, wohl als einen eher traurigen. Die Wildnis, soweit es sie noch gibt, bietet sich nicht mehr wie früher als das übergroße Außen dar, sondern als ein geschirmter Raum innerhalb der wahren Wildbahn kapitalistischer Globalisierung. Das weiß Frenz selbstverständlich, wenn er es auch ungern zugibt. Und sein Vorschlag? Der setzt, wie nicht anders möglich, am „Wir“ an. Wie sollten wir unsere Stellung in der Welt begreifen? Das Modell des „Homo faber“ lehnt er ab, weil es inzwischen starke Zweifel am Menschen als Macher gibt; den „Homo Deus“ gleichfalls, wegen der Anmaßung, die darin mitschwingt; nicht zuletzt den „Homo sapiens“, denn sehr viel Weisheit lässt sich im Gebaren unserer Spezies derzeit nicht erkennen.

Er optiert für „Homo parasiticus“: der Mensch, der sich unaufdringlich in das lebendige System dieser Erde wie in einen Darm eingräbt, kein Held oder Schurke, sondern Überlebenskünstler, in prekärem Gleichgewicht mit seinem Wirt, den er anzapft, ohne ihn final zu schwächen; mit einem Wort ein „alter Freund“, wie Eingeweidewürmer es bei Wirbeltieren seit Millionen von Jahren gewesen sind. Das ist wenig schmeichelhaft, aber gibt zu denken.

Die Beschränkung seines Blicks teilt Frenz' Buch mit anderen Publikationen zum Thema. Darüber hinaus jedoch liefert es viele einzigartige Informationen und starke Stories. Folgen muss man ihm nicht in allen Punkten. Lesen sollte man es unbedingt.

BURKHARD MÜLLER

Jede Maßnahme zum Schutz
des Nashorns wird zum
Beschleuniger seiner Ausrottung

Die Pfleger der
Pandabären im Zoo müssen
Pandakostüme tragen

Lothar Frenz: Wer wird überleben? Die Zukunft von Natur und Mensch.
Rowohlt Berlin, Berlin 2021. 446 Seiten, 24 Euro.

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