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Geboren wurde Paul Spiegel 1937 in Warendorf, als Sohn eines jüdischen Viehhändlers. Wenig später musste die Familie vor den Nazis nach Belgien fliehen, wo sie bald von den deutschen Besatzern eingeholt wurde. Sein Vater, Hugo Spiegel, wurde verhaftet, seine Schwester, Roselchen, mit elf Jahren in Auschwitz ermordet. Die Mutter mußte ihren kleinen Sohn zu belgischen Pflegeeltern geben, die entschlossen waren, jüdische Kinder aus Deutschland zu retten. Für den kleinen Paul begann eine Odyssee der Angst von Versteck zu Versteck. Nach der Befreiung 1945 kehrte die Familie nach Warendorf zurück,…mehr

Produktbeschreibung
Geboren wurde Paul Spiegel 1937 in Warendorf, als Sohn eines jüdischen Viehhändlers. Wenig später musste die Familie vor den Nazis nach Belgien fliehen, wo sie bald von den deutschen Besatzern eingeholt wurde. Sein Vater, Hugo Spiegel, wurde verhaftet, seine Schwester, Roselchen, mit elf Jahren in Auschwitz ermordet. Die Mutter mußte ihren kleinen Sohn zu belgischen Pflegeeltern geben, die entschlossen waren, jüdische Kinder aus Deutschland zu retten. Für den kleinen Paul begann eine Odyssee der Angst von Versteck zu Versteck. Nach der Befreiung 1945 kehrte die Familie nach Warendorf zurück, der Vater, der die Hölle des Konzentrationslagers überlebt hatte, wollte es so. Nur langsam gewöhnte sich der Junge an seine deutsche Umgebung. In den sechziger Jahren wurde Paul Spiegel Redakteur, später Pressesprecher und baute schließlich seine eigene Künstleragentur auf. Er gründete eine Familie, die ihm bis heute Kraft gibt. Schon seit seiner Schulzeit hat er sich mit dem Judentum auseina nder gesetzt, sich in jüdischen Gremien und Gemeinden engagiert. So ist er nach dem Tod von Ignaz Bubis dessen Nachfolger als oberster Repräsentant der Juden in Deutschland geworden.
Ohne Pathos und Eitelkeiten erzählt Paul Spiegel sein Leben. Ein deutscher Jude, der die Schrecken unserer Zeit erlebt hat, ermahnt seine Mitbürger, den Anfangen zu wehren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2001

Ein illusionsloser Optimist
Paul Spiegels Erinnerungsbuch: Schluß ohne Fragezeichen

Paul Spiegel: Wieder zu Hause? Erinnerungen und Visionen. Aufgezeichnet von Rafael Seligmann. Ullstein Verlag, München 2001. 296 Seiten, 19,95 Euro.

In Brüssel spricht ein Mann ein junges Mädchen an. Ob sie vielleicht Jüdin sei? Ja, sagt die Elfjährige zu ihm, weil sie nur Erwachsene in Uniform und nicht Zivilpersonen anlügen soll. Seit diesem Tag im Oktober 1942 bleibt Rosa unauffindbar. Erst 57 Jahre später bringt eine vergilbte Transportliste ihrem jüngeren Bruder Paul die Gewißheit, daß seine Schwester damals zuerst ins Lager Mechelen und von dort zur Ermordung in Richtung Osten geschafft wurde.

Er überlebt, weil seine 1939 aus Deutschland geflohene Mutter ihm jetzt einschärft, seine jüdische Herkunft keinem Menschen mehr zu offenbaren. Belgische Familien verstecken das Kind bis Kriegsende. Die Mutter, die sich in Selbstvorwürfen selbst zerstört, wartet bis zu ihrem Tod in den siebziger Jahren auf Roselchens Heimkehr.

Der Vater ist Realist. Schon 1940 verschleppt, übersteht er die Lager Gurs, Buchenwald, Auschwitz und die Todesmärsche zurück nach Dachau. Bald nach der Befreiung holt er seine Frau und seinen kleinen Sohn nach Hause ins westfälische Warendorf, wo die Vorfahren seit Jahrhunderten meist als Viehhändler lebten. Außer ihm ist noch kein Jude hierher zurückgekehrt. Dennoch treibt er in seiner Heimat den Neuaufbau der jüdischen Gemeinde unbeirrt voran; ein Lederwarenhändler hat die Torarolle sieben Jahre in seinem Keller versteckt.

Jahrzehnte später benennt die Stadt eine Straße nach Hugo Spiegel. Seinem Sohn Paul, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, verleiht sie die Ehrenbürgerwürde. Der nimmt sich die Freiheit, die Warendorfer Bürgerschaft an den 9. November 1938 zu erinnern, an dem man seinen Vater halb totgeprügelt hat; im übrigen sei es allmählich an der Zeit, Herman Göring von der städtischen Ehrenliste zu streichen.

Ohne literarischen Ehrgeiz, verfolgt Paul Spiegel am Beispiel seiner Familie den Weg, den die Juden in Deutschland in den letzten hundert Jahren gegangen sind. Nebenher läuft ein leicht faßlicher Grundkurs über die wichtigsten jüdischen Riten und Bräuche. Breiter und volkstümlicher als mit diesem Lebensbericht, in dem auch allerlei Stars und Sternchen aus dem Unterhaltungsgeschäft auftreten (Spiegel betreibt eine Künstleragentur), läßt sich der Zugang zu Lebenswelt und Schicksal der Juden in Deutschland kaum öffnen.

1945 war das etwa eine halbe Million Zugehörige zählende gewachsene Judentum in Deutschland ausgelöscht. Das Vernichtungsgeschehen traf auch die Spiegels als ein zuvor "unvorstellbarer" Vertrauensbruch des eigenen Vaterlandes. Die heimtückische Entführung und Tötung Roselchens ist ein Sinnbild dafür. Die Heimkehr zeigt den Selbstbehauptungswillen gegenüber Deutschland ebenso wie den Vertrauensvorschuß, den einige Überlebende ihrem Land noch immer geben wollten. Dabei mußten sie sich nicht nur fortbestehender antisemitischer Feindseligkeiten, sondern auch scharfer Kritik des Jüdischen Weltkongresses und des 1948 gegründeten Staates Israel erwehren. Dorthin waren die Davongekommenen, die "Displaced persons" und die zu Hause bedrohten polnischen Juden meist weitergezogen.

Als der Zentralrat 1950 gegründet wurde, lebten ungefähr 25 000 meist mittellose und erschöpfte Juden in der Bundesrepublik. Jahrzehnte lag die Sterbeziffer in den jüdischen Gemeinden siebenmal höher als die Geburtenrate. Doch in den sechziger Jahren begann die zweite Generation die Koffer auszupacken, auf denen sie bis dahin saß - zumal das "demokratische Selbstbewußtsein" der Gesellschaft stieg und das "uneinsichtige und bleierne" Beharren der Ewiggestrigen abnahm, wie Spiegel schreibt.

Mit dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Zustrom der Juden aus den GUS-Staaten begann die neuerliche Revolutionierung des Judentums in Deutschland. Mit ihren etwa 100 000 Mitgliedern wächst die jüdische Gemeinde weltweit am schnellsten. Klammer des Zusammenhaltes ist noch immer der Zentralrat. Keineswegs unkritisch läßt der Autor dessen führende Gestalten von Hendrik George van Dam und Heinz Galinski bis zu Salomon Korn und Michel Friedman Revue passieren; eindringlich seine warmherzige Hommage an Ignatz Bubis, für den die "furchtbare Rede" Martin Walsers zur "entscheidenden Wende im Leben" geworden sei.

Hitler konnte zwar die radikale Veränderung, aber nicht die völlige Beendigung jüdischer Existenz in Deutschland erzwingen. Die Genugtuung darüber, daß es nicht gelang, das Land "judenrein zu morden", durchzieht das ganze Buch: "Das neue deutsche Judentum wird offener, kosmopolitischer, aber auch aufmerksamer und vorsichtiger sein." Spiegel pocht auf die Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden, die genug durchgemacht hätten, um sich rechtzeitig und energisch zur Wehr zu setzen, wenn ihnen altvertraute Ressentiments entgegenschlügen - als "gute Seismographen" auch dann, wenn sich Attacken auf die Menschenwürde gegen Nichtjuden richteten.

Spiegels Traum sind die Erneuerung des "äußerst kritischen deutsch-jüdischen Verhältnisses" und eine Versöhnung mit der nichtjüdischen Gesellschaft, Anstand und Pragmatismus im Umgang sind sein Plädoyer. Für einen Alltag, der das Judentum nicht auf "Klezmer-Musik und Holocaust" reduziert, seien aufdringlicher Philosemitismus und "arrogantes Wohlwollen" ebenso entbehrlich wie von ihm deutlich benannte sogenannte Funktionsjuden, die sagen, was Nichtjuden gerne ausdrücken oder hören würden.

Trotz der Angriffe auf Minderheiten, Gedenkstätten und jüdische Einrichtungen ist Paul Spiegel zuversichtlich, "daß die Mehrheit uns und unsere jüdischen Gemeinden in diesem Lande haben wollen". Als illusionsloser Optimist hat er Vertrauen zum vereinten Deutschland. Auf der letzten Seite seines Erinnerungsbuches ist das Fragezeichen im Buchtitel denn auch getilgt.

KLAUS-DIETMAR HENKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Paul Spiegel, Vorsitzender des 1950 gegründeten Zentralrats der Juden in Deutschland, erinnert sich: an seine Schwester Rosa, die mit elf Jahren 1942 aus Brüssel verschleppt und später ermordet wurde, an seine Mutter, die an ihren Selbstvorwürfen, die Tochter nicht genügend beschützt zu haben, zerbrach, an den Vater, der als einer der wenigen Überlebenden nach dem Krieg in das westfälische Warendorf zurückkehrte und dort die jüdische Gemeinde wiederaufbaute, an frühere Vorsitzende des Zentralrats, besonders "warmherzig" an Ignatz Bubis, berichtet Rezensent Klaus-Dietmar Henke. Frei von literarischem Ehrgeiz beschreibe Spiegel breit und volkstümlich am Beispiel seiner Familie den Weg vieler deutscher Juden in den letzten hundert Jahren, einen leicht fasslichen Grundkurs über jüdische Riten und Bräuche eingeschlossen. Spiegel sieht "illusionslos optimistisch" in die Zukunft, glaubt der Rezensent. Am Ende seines "Erinnerungsbuches" sei die Titelfrage nach der Selbstverständlichkeit, in Deutschland zu leben, getilgt.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Man kann sein Buch als spannende Familien- und Überlebensgeschichte lesen, gleichzeitig aber auch als Bericht über das Wiedererwachen eines neuen deutschen Judentums sowie als Handbuch zum Verständnis der Hintergründe der immer noch sensiblen Beziehungen zwischen Juden un Nichtjuden in der Bundesrepublik." SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Dank gebührt denen, die in unzerstörbaraer Zuversicht als Juden daran festhalten, dass Deutschland ihre Heimat ist. Paul Spiegel gehört dazu." DER TAGESSPIEGEL "Spiegel will nicht als jüdischer Funktionär Solidarität anmahnen, sondern den Abscheu gegen Antisemitismus zur gemeinsamen Angelegenheit machen, einer deutschen Angelegenheit eben." DIE WELT "Exemplarisch an seiner eigenen Aufbauarbeit erstellt Spiegel eine Biografie des deutschen Nachkriegs-Judentums und splittert sie an den entscheidenenden Stellen in Einzelschicksale auf." MÜNCHNER MERKUR "Breiter und volkstümlicher als mit diesem Lebensbericht ... läßt sich der Zugang zu Lebenswelt und Schicksal der Juden in Deutschland kaum öffnen." FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG