Für Reinhold Schneider war Wien immer magischer Anziehungspunkt, "Stern und Verlockung". Gezeichnet von schwerer Krankheit fährt er im November 1957 für vier Monate in die Stadt der Habsburger. Erneut erlebt er die Gegenwart der Geschichte, ihre Größe und ihr Scheitern. Doch dieser Winter in Wien bringt auch eine unvorhersehbare Wende in seinem Leben: Tragik, aber auch sprachliche Genialität und prophetische Gabe machen diese "Notizbücher", das zentrale Spätwerk Schneiders, zu einem bedeutenden Buch des Jahrhunderts.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auf den Tag genau vor hundert Jahren wurde Reinhold Schneider geboren, ein katholischer Intellektueller, der nach Dafürhalten von Richard Kämmerlings in den dreißiger Jahren zum "Kristallisationskern christlicher Opposition" gegen den Nationalsozialismus wurde. Aus Anlass von Schneiders hunderstem Geburtstag sind einige seiner Bücher wiederaufgelegt worden, unter andere auch "Winter in Wien", das 1958 postum erschienen ist und insofern untypisch ist, wie Kämmerlings bemerkt, weil es zutiefst pessimistisch und düster ist. Doch bei allem Skeptizismus ist Schneiders Sprache zugleich eine Ernsthaftigkeit zu eigen, wundert sich Kämmerlings, die uns heute naiv oder zumindest merkwürdig erscheint. Für den Rezensenten ist das ein Hinweis darauf, wie stark die christliche Semantik, die gern von "Opfer " und "Sendung" spricht, durch die Nationalsozialisten diskreditiert worden ist. Was an Schneider heute noch reizt, fasst Kämmerlings zusammen, ist die seltsame Synthese zeitgenössischer Strömungen: Glauben und erschütterter Glauben gepaart mit einer sensiblen Wahrnehmung wissenschaftlichen Fortschritts, die den Autor anmerken ließ, statt des Kaisers residiere jetzt die Atombehörde in Wien. Der Kaiser war ihm sympathischer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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