Kaum sind die Trümmer weggeräumt, setzt in Deutschland ein Wirtschaftsaufschwung ohnegleichen ein, auch ein nimmersatter Kaufrausch: Möbel, Autos, Reisen, Elektrogeräte. Mit dem Rock'n' Roll erfasst die Jugend ein neues Lebensgefühl. 1957 eröffnet der erste Supermarkt, der Siegeszug der Discounter beginnt. Der Fernseher gruppiert die Wohnzimmer um. - Und plötzlich stellen sich neue Fragen: Wie soll man leben? Verlieren wir unsere kulturelle Identität an Amerika? Wie viel Freiheit braucht ein Kind, eine Ehe, ein Arbeitnehmer? Elvis Presley und Freddy Quinn geben unterschiedliche Antworten. 1967 ist die Bundesrepublik, wie wir sie kannten, im Rohbau fertig. Erstmals kommt ein deutscher Staat ohne höhere Idee aus als das Glück des Einzelnen. Eine Reise in die Lust und Mühen des Wirtschaftswunders - in die Welt der Käseigel, Neckermann-Kataloge und Stalingrad-Erinnerungen, der Gastarbeiter und eines neuen Politikertyps wie Kennedy oder Brandt, der Happenings und des Klammerblues.Als die Beatles 1967 «All You Need Is Love» singen, ist, mitten im Kalten Krieg, die Studentenrevolte bereits im Gange. Harald Jähners fulminantes Porträt der jungen Bundesrepublik, einer Zeit, in der sich alles neu formierte - und die es neu zu entdecken gilt.
Eigentlich ist Rezensent Matthias Alexander Harald-Jähner-Fan, aber das neue Epochenbuch des Autors enttäuscht ihn doch ein wenig. Jähner widmet sich der Bundesrepublik der Jahre 1955-1967, den Rahmen geben Wirtschaftsdaten vor, nämlich das Boomjahr 55 und das Krisenjahr 67. Anschaulich und kenntnisreich schreiben kann Jähner immer noch, stellt Alexander klar, dies zeigt sich etwa in Passagen über die Heimkehr von Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion oder den Jerusalemer Eichmann-Prozess. Mit den Ausführungen zu Wirtschaftsthemen aber wird der Rezensent nicht ganz glücklich; und vor allem ärgert er sich über eine inhaltliche Schlagseite, die auf Kultureliten-Bashing hinausläuft - die Schriftsteller der Gruppe 47 kommen gar nicht erst vor, die Jungfilmer des Neuen Deutschen Films werden als progressive Möchtegerns beschrieben und auch die sich am Horizont abzeichnende 68er-Bewegung mitsamt ihres intellektuellen Unterbaus kommt schlecht weg. Muss das sein, fragt sich Alexander, der außerdem moniert, dass fast nur von der BRD, kaum jedoch von der DDR die Rede ist. Vielleicht schwelgt Alexander, etwa wenn er sich lange über den Deutschland-Besuch der Beatles auslässt, zu sehr in eigenen Erinnerungen, mutmaßt Alexander, der hofft, dass künftige Jähner-Bücher wieder mehr Fleisch auf dem Knochen haben werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein weiteres tolles Buch über eine Epoche der jüngeren westdeutschen Geschichte legt Harald Jähner Rezensent Joachim Käppner zufolge vor. Diesmal widmet sich der ehemalige Berliner Zeitung-Feuilletonchef den Jahren 1955 bis 1967, am Anfang der Erzählung steht die Heimkehr von Kriegsgefangenen aus Russland, wobei in Deutschland, liest Käppner bei Jähner, kaum thematisiert wurde, dass unter den Rückkehrern viele Kriegsverbrecher waren. Überhaupt hatten alte Nazis in dieser Zeit oft noch einen guten Stand, erfährt Käppner außerdem, und sorgten für eine drückende Atmosphäre, die allerdings nicht so allumfassend war wie oft dargestellt. Weniger für die große Politik als für den Alltag interessiert sich Jähner, so der Rezensent, was etwa in einer Passage über den Niedergang des Huttragens deutlich wird. Zu den weiteren behandelten Themen zählen, wie wir lesen, das Desinteresse vieler Medienmacher an der Jugend und verletzte Männlichkeit angesichts berufstätiger Frauen. Alles in allem ein starkes Zeitbild, findet Käppner, der überrascht davon ist, wie viel er in dem Buch auch über unsere Gegenwart lernt.
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