Sein Leben lang arbeitet Mohamed bei Renault in Paris. Seine Kinder sind ihm entfremdet, er hat sie an Frankreich verloren. Und er hat nur noch einen Traum: in seiner Heimat Marokko ein Haus zu bauen, in dem er seine Familie wieder zusammenführen kann.
Mohamed ist Muslim, Familienvater und Marokkaner - in dieser Reihenfolge. Und ein vorbildlicher Arbeiter: Vierzig Jahre hat er bei Renault in Paris am Fließband gestanden, Tag für Tag, nie kam er zu spät: Die Arbeit war sein Leben.Jetzt steht ihm die Rente bevor, und er zieht Bilanz: wie er 1962 sein Dorf in Marokko verlässt, nur den Koran in der Hand, der eingeschlagen ist in ein Stück vom Leichentuch seines Vaters und den er nicht lesen kann; die Heirat mit seiner Cousine; seine tiefe Religiosität, die ihm keine Assimilierung an die französischen Sitten gestattet, sein Abscheu aber auch vor den Fanatikern; seine fünf Kinder, die sich ihm entfremdet haben, Lafrance", davon ist er überzeugt, hat ihm zwar Arbeit gegeben, ihm aber seine Kinder gestohlen: Er versteht ihr Französisch nicht, der eine Sohn hat eine Christin geheiratet und der andere, Rachid, nennt sich Richard.Halt findet er nur in einem alten Traum: nach Marokko zurückkehren, um das Haus des Glücks und des Friedens" zu bauen, in dem er seine ganze Familie versammeln kann. Es wird das größte Haus im Dorf, überdimensioniert, mit Gebetsraum, Hamam und Schwimmbecken, nur fehlt es an Wasser und Strom - ein Zement gewordener Wahn. Hier wartet Mohamed auf seine Kinder, er hat sie zum nächsten Aid el Kebir, dem großen Hammelfest, eingeladen. Aber sie werden nicht kommen ...In einem phantasmagorischen Schlussbild lässt Tahar Ben Jelloun seine Figur Mohamed verschwinden. Das Haus wird zum Grab. Und das Dorf hat einen neuen Heiligen, Mohamed, den Immigranten", den Mann, den die Rente getötet hatte".
Mohamed ist Muslim, Familienvater und Marokkaner - in dieser Reihenfolge. Und ein vorbildlicher Arbeiter: Vierzig Jahre hat er bei Renault in Paris am Fließband gestanden, Tag für Tag, nie kam er zu spät: Die Arbeit war sein Leben.Jetzt steht ihm die Rente bevor, und er zieht Bilanz: wie er 1962 sein Dorf in Marokko verlässt, nur den Koran in der Hand, der eingeschlagen ist in ein Stück vom Leichentuch seines Vaters und den er nicht lesen kann; die Heirat mit seiner Cousine; seine tiefe Religiosität, die ihm keine Assimilierung an die französischen Sitten gestattet, sein Abscheu aber auch vor den Fanatikern; seine fünf Kinder, die sich ihm entfremdet haben, Lafrance", davon ist er überzeugt, hat ihm zwar Arbeit gegeben, ihm aber seine Kinder gestohlen: Er versteht ihr Französisch nicht, der eine Sohn hat eine Christin geheiratet und der andere, Rachid, nennt sich Richard.Halt findet er nur in einem alten Traum: nach Marokko zurückkehren, um das Haus des Glücks und des Friedens" zu bauen, in dem er seine ganze Familie versammeln kann. Es wird das größte Haus im Dorf, überdimensioniert, mit Gebetsraum, Hamam und Schwimmbecken, nur fehlt es an Wasser und Strom - ein Zement gewordener Wahn. Hier wartet Mohamed auf seine Kinder, er hat sie zum nächsten Aid el Kebir, dem großen Hammelfest, eingeladen. Aber sie werden nicht kommen ...In einem phantasmagorischen Schlussbild lässt Tahar Ben Jelloun seine Figur Mohamed verschwinden. Das Haus wird zum Grab. Und das Dorf hat einen neuen Heiligen, Mohamed, den Immigranten", den Mann, den die Rente getötet hatte".
"Ein ergreifender Roman mit Beckett'schen Zügen."
LE MAGAZINE LITTÉRAIRE
LE MAGAZINE LITTÉRAIRE
Tahar Ben Jelloun erzählt vom Exilanten-Schicksal
Migration, Exil, Entwurzelung: Das sind Themen, die regelmäßig das Tagesgeschehen bestimmen. Es gibt wenige Gegenstände, die sich Literatur und Film, den erzählenden Künsten, so dringlich anbieten. Es gibt wenige, die es erlauben, soziale Realität und Poesie so treffend zu verschmelzen - und es gibt wenige, deren Terrain so vermint ist. Tahar Ben Jellouns neuer Roman bietet ein Beispiel für Chancen und Risiken des Themenkomplexes.
"Zurückkehren" erzählt von einem schrecklichen Moment im Leben jedes Arbeitnehmers: der Verrentung. Was auf den ersten Blick Ironie scheint, ist im Falle von Mohammed, Fabrikarbeiter bei Renault, bitterer Ernst - die "Verrente", die Kursivierung stammt vom Autor selbst, bereitet Mohammed schlaflose Nächte: "Mit dem Arbeiten aufhören, mit einem seit über vierzig Jahren gültigen Rhythmus brechen, seine Gewohnheiten ändern, nicht mehr um fünf Uhr aufstehen, seinen grauen Kittel nicht mehr überziehen, sich an ein neues Leben gewöhnen, in eine andere Haut schlüpfen, eine andere Geisteshaltung annehmen, seine alten Gewohnheiten verleugnen, die ihm als Krücken dienten, Halt und Orientierung gaben."
Ben Jelloun zeigt uns seinen Allerweltshelden am ersten Tag des Ruhestands. Während des Morgengebets und einer letzten Fahrt zur Fabrik lässt Mohammed sein Leben Revue passieren: die Kindheit in einem marokkanischen Dorf, die Heirat mit einer Kusine zweiten Grades, die Auswanderung nach Frankreich, die fünf Kinder, ihr Aufwachsen, ihre Ehen. Zwischen Mohammeds Erlebnisse schieben sich Geschichten, die einen guten Eindruck von der maghrebinischen Exilgemeinschaft in Frankreich vermitteln.
Die beiden zentralen Themen des Romans sind das Verhältnis zwischen Mohammed und seinen Kindern einerseits und das Mohammeds respektive seiner Kinder zu Frankreich andererseits. Die Kinder sind integriert, sprechen Französisch und haben Migrantenkinder anderer Herkunft oder Franzosen geheiratet; der zweite Sohn hat seinen Namen von Rachid in Richard geändert. Mohammed hingegen ist nie wirklich in "Lafrance" angekommen. Für gute medizinische Versorgung ist er dankbar, aber seine Identität bestimmt der Koran, den er, in das Leichentuch seines Vaters gewickelt, als einzigen Besitz mitgebracht hat: "Für ihn war dieses Buch alles, seine Kultur, seine Identität, sein Pass, sein Stolz, sein Geheimnis."
Auf die Religion folgt der Clan, eine "archaisch organisierte, von Tradition und Aberglauben beherrschte Großfamilie". Mohammed weiß: "Von außen wirkte sie wie eine sich alles einverleibende Klebemasse." Nur will er nicht wahrhaben, dass seine Kinder genau diesen Außenblick haben. Seine Antwort auf "Verrente" und familiäre Entfremdung: Er kehrt nach vierzig Jahren zurück nach Marokko, als wäre er nie fort gewesen, und baut dort ein Haus, um Kinder und Enkel zu vereinen. Der Plan muss scheitern, das Haus, Inkarnation widersprüchlichster Wünsche, wird ein hybrides Monster, das "an einen überladenen Lastwagen" erinnert. Die Kinder kommen nicht; Mohammed stirbt vor Kummer.
Tahar Ben Jelloun ist einer der Großen, außer ihm ist nur Assia Djebar für die reiche frankophone Maghrebliteratur von ähnlicher Bedeutung. "Zurückkehren" schließt einen Zyklus, den der poetische Text "La Réclusion solitaire" ("Einzelhaft", 1976) und "Die tiefste der Einsamkeiten" (1977), eine Studie über emotionale und sexuelle Probleme nordafrikanischer Immigranten, eröffnet hatten. Abermals beweist Ben Jelloun Gespür für relevante Motive, dem Leser werden Stationen eines Arbeiter- und Migrantenlebens präsentiert: Sei es die Abreise, der Besuch bei einer Prostituierten, die Abgründe einer Prostatauntersuchung oder Mohammeds Vatergefühle für den behinderten Neffen - der Parcours ist zutiefst menschlich, Mohammeds beschränktes Schicksal hat universelle Tragweite.
Aber, und hier zeigt sich die Tücke des Themas, Ben Jelloun findet die rechte Perspektive nicht. Anfangs sucht er verkrampft die Nähe, folgt Mohammed auf betuliche oder anbiedernde Weise, wenn er die Unwissenheit ("Aber gibt es überhaupt Häuser und Geschäfte im Jenseits?"), die Bildungsbeflissenheit und den Antirassismus der Figur hervorhebt. Dann springt er ins andere Extrem: Am Ende des Romans nimmt der Erzähler den Außenblick ein, Mohammed wird zur tragikomischen Figur, die tagein, tagaus vor dem Haus wartet und langsam im Boden versinkt - eine Beckettsche Szene.
Die Groteske wird durch einen märchenhaften Schluss ironisch überboten, als der Tote zum Heiligen wird und sein Grab zum Ort der Andacht: "So entschwand Mohammed Limmigri, der Immigrant, den der Ruhestand umgebracht hatte." Wäre der ganze Roman in diesem Stil geschrieben, dann hätte er Witz gehabt; so wirkt die Übertreibung etwas bemüht. "Zurückkehren" taumelt von den Fängen der Scylla in jene der Charybdis.
Der Eindruck eines Distanzproblems wird durch Interviewäußerungen noch verstärkt, in denen Ben Jelloun sein Verständnis für Migranten der ersten Generation ausdrückt: Die Mischung der Kulturen sei nicht unbedingt gut, man solle Mohammed nicht dafür verurteilen, dass er es missbillige, wenn seine Tochter einen Ungläubigen heirate. Der Autor unterschlägt, dass ein Sohn dasselbe tut, ohne den Vater zu enttäuschen. Sich als Autor in seine Figur einzufühlen bedeutet nicht, sich mit ihr zu identifizieren und problematische Haltungen zu rechtfertigen. Ben Jelloun tut es: Ein wenig mehr Detachement à la Beckett hätte nicht geschadet.
NIKLAS BENDER
Tahar Ben Jelloun: "Zurückkehren". Roman. Aus dem Französischen von Christiane Kayser. Berlin Verlag, Berlin 2010. 144 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Bewegt berichtet Walter van Rossum von diesem Roman, in dem Tahar Ben Jelloun vom ganz normalen Schicksal eines ganz normalen marrokanischen Arbeiters in Frankreich erzählt: Mohammed lebt in der Banlieue von Paris, arbeitet bei Renault und ist dabei, seine fünf Kinder an "Lalla France" zu verlieren. Und das, obwohl er, der Analphabet, alles dafür getan hat, muslimische Sitten und Gebräuche hochzuhalten und natürlich auch die Regeln und die Ehre. Angesichts der drohenden Verrentung flieht er zurück nach Marokko, wo die Dinge einen offenbar recht dramatischen, wenn nicht tragischen Verlauf nehmen. Rossum sieht in ben Jellouns "Zurückkehren" einen wunderbaren, tiefgründigen Roman über "Differenz und Angst vor der Differenz", fürchtet allerdings, dass diejenigen, die es nötig hätten, sich von ihm nicht erweichen lassen werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH