Die Umwege des Glücks. Irene Dische erzählt federleicht, unsentimental und doppelbödig in ihrem ersten Jugendroman eine Geschichte von drei Generationen.
Peter hat Glück. Vom langweiligen Landleben bei seinem Großvater befreit ihn sein Vater und nimmt ihn mit nach Berlin. Peter ist begeistert und genießt das neue Leben. Doch die Idylle dauert nicht lange. Berlin spielt plötzlich verrückt, in der ganzen Stadt gehen Fensterscheiben zu Bruch und Peter wird wieder zurück aufs Land geschickt. Erst viel später erfährt er den Grund.
Peter hat Glück. Vom langweiligen Landleben bei seinem Großvater befreit ihn sein Vater und nimmt ihn mit nach Berlin. Peter ist begeistert und genießt das neue Leben. Doch die Idylle dauert nicht lange. Berlin spielt plötzlich verrückt, in der ganzen Stadt gehen Fensterscheiben zu Bruch und Peter wird wieder zurück aufs Land geschickt. Erst viel später erfährt er den Grund.
Irene Dische erzählt von den Umwegen der Liebe
Zwischen zwei Scheiben Glück liegt eine dicke Scheibe Unglück für Peter, den Helden der neuen Erzählung von Irene Dische. Das kann kaum anders sein für ein jüdisches Kind in Europa zwischen 1933 und 1945. Hier aber spielt trotz allen Unglücks das Glück die Hauptrolle. Denn Peter bleibt immer im Schutz familiärer Fürsorge. Vor allem aber hat sein Vater eine so überwältigende Gabe zum Glücklichsein, daß er seinem Sohn genug davon mitgeben kann, um ihn für das Leben zu stärken.
Der junge ungarische Diplomat Laszlo, Sohn eines bis zur Pedanterie korrekten und unnahbaren Arztes, ist auf leidenschaftliche Weise glücklich; er sucht das Glück im Mittelpunkt der Gefahr. Seinen sechs Jahre alten Sohn nimmt er mit: ans Ufer der rasch anschwellenden Donau bei einer Überschwemmung, ins Berlin der Nationalsozialisten, bis hinein ins SS-Vergnügungslokal. Seine junge Frau hat Laszlos leidenschaftliche Auto-Raserei das Leben gekostet; beim Sohn bremst er rechtzeitig ab und schickt ihn nach der "Kristallnacht" zum Großvater in die Kleinstadt nach Ungarn zurück, mit dem Versprechen, ihm jede Woche einen Brief zu schreiben. Er selbst treibt seine wagemutigen Spiele mit den Nazis bis zum tödlichen Ernst, verschafft Juden falsche Pässe und wird hingerichtet, noch bevor die Deutschen in Ungarn einmarschieren.
Peter bekommt dennoch jede Woche einen Brief aus Berlin und beantwortet ihn genauso zuverlässig. Nach der turbulenten Zeit in Berlin sind die Briefe des geliebten Vaters die Höhepunkte im eintönigen Alltag mit dem Großvater. In dessen Haus sind jeder Tag, jede Tätigkeit streng geordnet; alles vollzieht sich in der größten Regelmäßigkeit. Peter erfährt weder Unfreundlichkeit noch Lieblosigkeit, aber auch keinen Überschwang, keine Zärtlichkeit und Lust, wie sie sein Leben mit dem Vater erfüllten. Daß der Großvater seinem Sohn an Liebesintensität nicht nachsteht und ihm weit ähnlicher ist, als er selbst immer betont, begreift Peter (und mit ihm der Leser) erst spät.
Irene Disches Erzählung ist klug komponiert. Souverän beschleunigt sie hier den Erzählfluß, hält ihn dort an, vermittelt suggestiv die schnelle Zeit des Vaters und der Großstadt, die dickflüssig langsame beim Großvater. Sie setzt geschickt die Höhe- und Wendepunkte des Geschehens und hält sichere Balance zwischen Lakonie und Anteilnahme. Vor allem aber ist dies Buch eine ausgezeichnete Charakterstudie. Zwar steht Peter im Vordergrund, aber doch eher als die Figur mit dem Zeigefinger, die auf die eigentlichen Hauptakteure hindeutet: auf Vater und Großvater, jeder auf seine Weise eindrucksvolle Persönlichkeiten. Neben ihnen agieren - nicht minder genau gezeichnet - das deutsche Kindermädchen Thea, das Laszlo und Peter liebt, und am Rande, mit wenigen Worten anschaulich umrissen, Peters Großtante Eva. Aus ihrer aller guten Eigenschaften zusammengesetzt, stellt die Erzählerin dann Peter als alten Mann vor: eine gelungene Mischung, wenn auch Ergebnis einer etwas schlichten erzählerischen Erb-Arithmetik.
Das Buch lebt von subtilen Zwischentönen in der Zeichnung der Menschen vor dem dunklen Grund der Geschichte, deren Atmosphäre und Ereignisse nur angedeutet, nicht erklärt werden. Die Lektüre muß das Ungesagte zwischen den Zeilen ergänzen und die aus der Perspektive des Kindes oft rätselhaften, undurchsichtigen Ereignisse erhellen. Das setzt Vertrautheit mit den Jahren zwischen 1938 und 1945 voraus. Ob Irene Disches Erzählung unter Kindern und Jugendlichen ihr kompetentes Publikum findet? Wie auch immer - ihre Leser, gleich welchen Alters, begegnen Bildern des Glücks, die nicht leicht zu vergessen sind.
GUNDEL MATTENKLOTT.
Irene Dische: "Zwischen zwei Scheiben Glück". Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Carl Hanser Verlag, München 1997. 88S., geb. 22,- DM. Ab 12 J.
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"Irene Dische erzählt in ihrem ersten Buch für junge Leser mit leisen, unaufdringlichen Tönen, ohne einen Anflug von Sentimentalität. Überzeugend ist auch das Happy-End, das sie nüchtern und fast beiläufig erzählt." Hannoversche Allgemeine Zeitung
"Irene Disches Erzählung ist klug komponiert. Ihre Leser, gleich welchen Alters, begegnen Bildern des Glücks, die nicht leicht zu vergessen sind." Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Eine wunderbare Erzählung von Fürsorge, Weisheit und Liebe, die mächtig daran arbeitet, beim Leser Vorurteile zu erschüttern, hinter die Masken zu schauen, die Menschen für Leben brauchen." DIE ZEIT
"Dies ist die Geschichte über die verschlungenen Wege der Liebe, die Geschichte einer Illusion und einer Schonung, mindestens eine Kindheit lang. Und es ist auch ein Fest der Gaukler, den furchtbaren Realitäten zum Trotz." Frankfurter Rundschau
"Irene Disches Erzählung ist klug komponiert. Ihre Leser, gleich welchen Alters, begegnen Bildern des Glücks, die nicht leicht zu vergessen sind." Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Eine wunderbare Erzählung von Fürsorge, Weisheit und Liebe, die mächtig daran arbeitet, beim Leser Vorurteile zu erschüttern, hinter die Masken zu schauen, die Menschen für Leben brauchen." DIE ZEIT
"Dies ist die Geschichte über die verschlungenen Wege der Liebe, die Geschichte einer Illusion und einer Schonung, mindestens eine Kindheit lang. Und es ist auch ein Fest der Gaukler, den furchtbaren Realitäten zum Trotz." Frankfurter Rundschau
"Tja, das fragt man sich sofort bei dem schönen poetischen Titel dieses Romans: Was zwischen zwei Scheiben Glück wohl alles passt? ... Geschickt führt Dische ihre jungen Leser und Leserinnen in das Berlin der Nazizeit, mit subtilen, vielsagenden Szenen und den Augen eines Jungen, der das alles noch nicht begreift... Erstaunlich, wie schnell und klar Dische ihre Striche zeichnet, wie sie keine Erzählumwege macht, wie sie ihr Leitmotiv vom Glück und Unglück durch den Roman zieht... Es wird vieles noch einigermaßen gut für Peter - und natürlich, auch das lernt man aus diesem feinen Roman, ist das mit dem Glück oft eine Frage der Sichtweise, nie eine des reinen Gewichts, des Dünn- oder Dickseins." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 05.04.18