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Eine kritische Analyse der amerikanischen Finanzmärkte
Amar Bhide lehrt an der Tufts University. Sein Buch ist ein Plädoyer für den Gebrauch lokalen, teilweise auch impliziten Wissens und darauf aufbauenden Entscheidungen, für die Entscheidungsträger möglichst weitgehend haften sollten. Bhide baut im Wesentlichen auf zwei Grundgedanken auf. Von Friedrich von Hayek übernimmt er die Vorstellung, dass Wissen, über Millionen Köpfe verteilt, teilweise implizit und lokal, jedenfalls nicht zentralisierbar ist.
Deshalb brauchen wir in einer innovativen Marktwirtschaft möglichst viele, von einander unabhängig entscheidende Akteure. Damit die Entscheidungen gewissenhaft gefällt werden, sollten die Akteure die Folgen ihrer Handlungen tragen. Von Frank Knight übernimmt er die Vorstellung, dass es nicht nur kalkulierbare Risiken, sondern auch Unsicherheiten gibt, die sich der mathematischen oder statistischen Analyse entziehen. Daraus folgt für Bhide, dass Kredite für Unternehmen oder Hauskäufer von Banken vergeben werden sollten, die ihre Geschäftspartner gut kennen, ihre Kreditwürdigkeit in jedem Einzelfall sorgfältig prüfen und das Ausfallrisiko bei Krediten selbst tragen. Sorgfältige Prüfung seitens der Sachbearbeiter der Bank und deren Überwachung durch das Management implizieren nach Bhide, dass die Unmöglichkeit, allzu viele Sachbearbeiter zu überwachen, die optimale Bankengröße begrenzt.
Doch statt sorgfältiger Einzelfallanalysen dominieren auf statistischen Modellen mit unrealistischen Prämissen und Daten von gestern aufbauende Entscheidungen, bei denen wenige Großbanken mit ähnlichen Modellen dominieren. Risiken werden durch blinde Diversifikation oder Weitergabe bewältigt. In Anlehnung an Paul Volcker will Bhide Geschäftsbanken und Investmentbanken trennen, die Geschäftstätigkeit der Ersteren stark begrenzen und regulieren, die Investmentbanken aber weitgehend unreguliert ihrem Schicksal überlassen.
Das Buch ist in zwei Teile und vierzehn Kapitel gegliedert, wobei der erste Teil vorwiegend die von Hayek inspirierten Gedanken erläutert. Der zweite Teil beschreibt die Entwicklung der amerikanischen Finanzmärkte bis hin zur Krise und den daraus resultierenden Reformdiskussionen und Maßnahmen. Den Einfluss der Wissenschaft und vor allem der Quantifizierung auf die Finanzmärkte beurteilt Bhide negativ. Von der These effizienter Märkte akzeptiert er nur den Hinweis, dass es fast niemandem gelingt, immer wieder überdurchschnittliche Ergebnisse auf Kapitalmärkten zu erzielen. Er bezweifelt, dass der Markt die richtigen Preise findet, und fügt die interessante Hypothese an, dass der Kapitalmarkt das umso weniger tut, je weniger sorgfältig die Kreditwürdigkeit in Einzelfallprüfungen analysiert wird. Wenn diese Hypothese richtig ist, kann man daraus schließen, dass die These effizienter Kapitalmärkte nur gilt, solange die Menschen nicht daran glauben.
Nicht nur die Wissenschaft ist für Bhide problematisch, sondern sogar gut funktionierende und liquide Aktienmärkte. Die Unzulässigkeit von Insiderhandel und dessen Verfolgung durch die amerikanischen Behörden hat zwar die Sauberkeit und Liquidität dieser Märkte gefördert, aber gleichzeitig die Unternehmenslenkung geschwächt: Pensionsfonds wollen nicht mehr als 10 Prozent an einem Unternehmen halten oder im Aufsichtsrat tätig werden. Die daraus resultierende Anonymität der Eigentümer macht die Überwachung oder sachkundige Beratung des Managements durch die Eigentümer unmöglich.
Bhides Buch ist gut geschrieben. Ob seine Thesen überzeugend sind, ist eine schwierigere Frage. Die hayekianische Prämisse verdient Beachtung. Aber es fällt auf, dass nur ein einziger Aufsatz Hayeks in der Literaturliste erscheint. Bhides Stellungnahme zur These effizienter Finanzmärkte ist bedenkenswert, aber seine pauschale Ablehnung quantitativer Modelle ist nicht nur mit der vernünftigen Forderung nach deren gründlicher empirischer Überprüfung gepaart, sondern geht in einen Glauben an die Gültigkeit qualitativer Urteile über, der mit der Kenntnis psychologischer Fachliteratur unvereinbar ist. Aber die wertvollen Anregungen überwiegen die Schwächen.
ERICH WEEDE
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