Wer kommt auf die Idee, quasi ohne japanische Sprachkenntnisse an einer Schule in Japans Outback Englisch zu unterrichten? Oder anders gefragt, welches Land importiert gezielt Englischlehrer, die die Landessprache nicht beherrschen? Antwort Frage 1: Chris Broad. Antwort Frage 2: Japan. Als Chris
2012, einige Monate nach Fukushima, erstmals das Schulgebäude der Sakata Junior High School betritt,…mehrWer kommt auf die Idee, quasi ohne japanische Sprachkenntnisse an einer Schule in Japans Outback Englisch zu unterrichten? Oder anders gefragt, welches Land importiert gezielt Englischlehrer, die die Landessprache nicht beherrschen? Antwort Frage 1: Chris Broad. Antwort Frage 2: Japan. Als Chris 2012, einige Monate nach Fukushima, erstmals das Schulgebäude der Sakata Junior High School betritt, sieht das alles nicht nach einer besonders guten Idee aus und um der Wahrheit die Ehre zu geben, das Gefühl bleibt die kommenden zwei Jahre weitgehend erhalten. Hätte Chris in der Einsamkeit seiner 10 Quadratmeter Wohnung nicht begonnen, Youtube Videos zu drehen, sein japanisches Abenteuer wäre wohl 2013 schon zu Ende gegangen, aber der Weg hin zu einer wirtschaftlich tragfähigen Existenz in Japan war mehr als steinig.
„Abroad in Japan“ beschreibt Chris‘ erfolgreiche Bemühungen, sich in die japanische Gesellschaft zu integrieren, Freunde zu finden und an den zahlreichen kulturellen Hürden nicht zu verzweifeln. Ganz abgesehen vom Wetter, denn in Sakata fallen im Winter viele Meter Schnee. Ein Zuckerschlecken ist das Leben in Japan jedenfalls nicht, das haben viele Autobiografen vor Chris Broad auch schon festgestellt.
Das Besondere an diesem Buch ist Chris‘ selbstironischer britischer Humor und die manchmal ziemlich schonungslose Analyse der eigenen Situation, ohne dass es jemals larmoyant oder Japan gegenüber respektlos würde. Er legt zwar den Finger auch in Japans offene Wunden, das mit einem unreflektierten Kadavergehorsam althergebrachte Regeln niemals auf Sinnhaftigkeit hinterfragt, dessen Gesellschaftssystem andererseits aber sehr resilient ist. Broad geht mit offenen Augen durch das Land, sieht Missstände genauso wie Bewundernswertes und versucht, so tief in den japanischen Alltag einzudringen wie möglich. Parallel erfährt der Leser, wie es zu Chris‘ sensationellem Youtube-Erfolg kam, denn geplant war das alles nicht. Heute hat er ein Millionenpublikum und seine witzigen, aber immer informativen Videos sind absolut sehenswert.
Das Buch ist wirklich gut geschrieben. Locker, originell, emotional, oft urkomisch, nie respektlos und so lebendig wie das Leben selbst. Ich hatte nie den Eindruck, da versucht jemand sein Image zu pflegen oder dass der Autor zu irgendeinem Zeitpunkt unaufrichtig wäre. Im Gegenteil, so manche Beichte erforderte viel Mut, sie auszusprechen, was Chris Broad nur umso sympathischer macht. Eines der besten, wenn nicht das beste „Ich in Japan“-Buch, das ich kenne. Und ich kenne sie quasi alle.
Der einzige Wermutstropfen: Der Übersetzer kocht leider sein identitäres Süppchen, indem er ständig gendert, was manchmal echt nervig und ganz sicher nicht die Schuld von Chris Broads Originaltext ist.