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Zwei wichtige Bücher über Adam Smith
Im Juni jährt sich die Geburt des schottischen Moralphilosophen und Ökonomen Adam Smith zum dreihundertsten Mal. Mit einer Fülle von Veranstaltungen wird nun des Gelehrten gedacht, dank dessen Schrift über den "Wohlstand der Nationen" sich die Volkswirtschaftslehre als separate Disziplin etablierte. So viel Ehre ihm nun zuteil wird, so gründlich ist Smith fehlinterpretiert worden, häufig von Wissenschaftlern, die mit seinem Werk nur oberflächlich vertraut waren, allen voran Ökonomen. Als angeblichen Erfinder der Metapher der "unsichtbaren Hand", aufgebauscht zum Sinnbild für den Glauben, der Markt sorge automatisch für den Einklang von Eigennutz und Gemeinwohl, hat man ihn zudem trivialisiert und in der politischen Debatte missbraucht.
Dieser Zustand indes hat eine Phalanx von Forschern verschiedener Disziplinen auf den Plan gerufen, die Smiths Denkgebäude unter dem Schutt der Missbräuche und Missverständnisse freizulegen sucht. So sind kürzlich zwei politikwissenschaftliche Monographien erschienen, die zu dem Besten zählen, was die ideengeschichtliche Forschung in den vergangenen Jahren über Smith hervorgebracht hat - und zugleich sind sie mit leichter Hand geschrieben, sodass die Lektüre eine wahre Freude ist.
Das erste dieser Bücher stammt von Paul Sagar (King's College London), der Smith als Vertreter eines realistischen, von philosophischer Skepsis getragenen Blicks auf die Politik skizziert. Zentral ist für Sagar Smiths historische Analyse, wie sich jene Institutionen allmählich ausgeformt haben, die einen verbreiteten Wohlstand erst möglich machen. Dass in Westeuropa der Feudalismus überwunden wurde und dass es zur Herrschaft des Rechts und zur Gewaltenteilung gekommen ist, schildert Smith in der Tat als Glücksfall der Geschichte. Macht und Ausbeutung seien der traurige Normalfall, verankert im Wunsch des Menschen, andere zu beherrschen, und auf die Spitze getrieben in der Sklaverei, moralisch so unerträglich wie ökonomisch unsinnig.
Erst vor diesem Hintergrund lässt sich nach Sagar auch Smiths Liberalismus richtig verstehen, weitab irgendwelcher Laissez-faire-Dogmen: Freiheit bedeute für Smith Unabhängigkeit. Wenn die Menschen als soziale Wesen nun einmal aufeinander angewiesen seien, dann sollten sie sich trotzdem nicht der Willkür anderer unterwerfen müssen. Das sei für ihn ein moralisches Gebot. Das setzt voraus, dass sie von der Bedrohung ihrer physischen Sicherheit (einschließlich ihres Eigentums) erlöst sind. Die Voraussetzungen dafür sind freilich vom jeweiligen historischen Kontext abhängig.
Weil das so ist, hält Sagar es für verfehlt, bei Smith nach detaillierteren Definitionen der Freiheit oder auch nur nach festen Urteilen über die Marktgesellschaft zu suchen - abgesehen davon, dass der Schotte den "freien Markt" oder den "Kapitalismus" noch gar nicht kannte. Dass aber die sozialen Beziehungen von jener Nützlichkeit gesteuert seien, die Marktbeziehungen sowohl erforderten als auch erbrächten, sei für Smith ohne Alternative, wenn es darum gehe, einen zivilisierten Lebensstandard zu sichern. Die große Herausforderung bestehe darin, einen Ordnungsrahmen zu erreichen, der Stabilität biete und gewährleiste, dass alle Menschen ihr Los bessern könnten. Mit Sorge sehe Smith vor allem den Einfluss von Interessengruppen auf die Regierenden.
Das zweite Buch ist der Smith-Rezeption in den Vereinigten Staaten gewidmet. Darin vollzieht Glory Liu (Harvard University) nach, wie Generationen von Amerikanern das Smith'sche Werk gelesen, uminterpretiert und als politische Waffe gebraucht haben. Sie hält sich nicht damit auf, dies zu bedauern, sondern sucht aufzuklären, wer ein Interesse an der Instrumentalisierung hatte. Sie schildert, wie die Smith-Wahrnehmung im ersten Vierteljahrhundert nach Erscheinen des "Wealth of Nations" noch ziemlich werkgetreu war, weil Smiths Theorien über die soziale Wirksamkeit der Empathie, die Arbeitsteilung und das Finanzwesen den "Founding Fathers" entgegenkamen.
Doch schon im 19. Jahrhundert habe sich dies geändert; während der Zollstreitigkeiten im Aufgalopp zum Sezessionskrieg sei Smith zur Wappenfigur der Südstaaten geworden, wo man ihn als Freihändler feierte. Dies wiederum habe dem Norden einen Anlass gegeben, Smiths Lehre insgesamt zu verteufeln, schließlich erwirtschaftete der Süden seine Handelsgewinne auf dem Rücken der Sklaven (was Smith gerügt hatte).
Im 20. Jahrhundert blieb nur noch ein Zerrbild übrig. Paul Samuelson verbreitete in seinem Lehrbuch "Economics" das Klischee von Smith als Anwalt des Egoismus und der mystischen "unsichtbaren Hand"; Vertreter der jüngeren Chicago-Schule nutzten Smith als Chiffre für die wissenschaftliche Rationalität von Märkten im Gegensatz zur unheilbaren Irrationalität der Politik. Je stärker jedoch Smiths ökonomisches Werk zur politischen Waffe degenerierte, desto größer wurden in der Öffentlichkeit auch die Zweifel an der Objektivität und Relevanz der Wissenschaft, als deren Gründer er gilt. Adam Smith zu ideologisieren erwies der Volkswirtschaftslehre einen Bärendienst. KAREN HORN
Paul Sagar: Adam Smith Reconsidered: History, Liberty, and the Foundations of Modern Politics, Princeton University Press, Princeton 2022, 248 Seiten, 34 Euro.
Glory M. Liu: Adam Smith's America: How a Scottish Philosopher Became an Icon of American Capitalism, Princeton University Press, Princeton 2022, 384 Seiten, 34 Euro.
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