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Theorie und Leben: Thomas de Padova schildert Einsteins Weg durch die Jahre des Ersten Weltkriegs.
Von Ulf von Rauchhaupt
Im Wintersemester 1918/19 gab Professor Einstein an der Berliner Universität ein samstägliches Kolleg. In der vierten Veranstaltung am 2. November 1918 sprach er über Fizeaus Messung der Lichtgeschwindigkeitsänderung in strömendem Wasser, eines der Experimente, die Einstein 1905 zu seiner Speziellen Relativitätstheorie geführt hatten. Der sechste Termin am 16. November behandelte die "Lorentz-Transformation", eine zentralen Formel jener Theorie. Der fünfte hingegen konnte nicht stattfinden. Einsteins Vorlesungsmanuskript vermerkt: "9. XI. - fiel aus wegen Revolution".
Die Jahre des Ersten Weltkrieges, die mit dem Sturz der Hohenzollern an jenem 9. November endeten, waren eine Wendezeit - für Deutschland, für die Wissenschaft und für Einstein persönlich. Denn während rings herum das alte Europa niederbrannte, gelang dem bei Kriegsausbruch fünfunddreißigjährigen Physiker unter äußersten Mühen eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Einzelleistung überhaupt: die Verallgemeinerung der Relativitätstheorie zu einer umfassenden Theorie der Schwerkraft.
Nun füllen Bücher zu Einstein inzwischen Regale und die zum Ersten Weltkrieg ganze Bibliotheken. Die Genese der Allgemeinen Relativitätstheorie schließlich ist ein ebenso anspruchsvolles wie intensiv bearbeitetes Thema. Umso erstaunlicher, wie es Thomas de Padova gelingt, gleich alle drei Motive in einem Band zu vereinen. Der gelernte Physiker und ehemalige Wissenschaftsredakteur beim Berliner "Tagesspiegel" war bereits 2009 mit einem im besten Sinne populärwissenschaftlichen Buch über Galilei und Kepler aufgefallen. Auch sein neues Werk arbeitet dicht an den historischen Quellen und bleibt doch so lesbar wie etwa Florian Illies' "1913". Auch blutigen physikalischen Laien dürfte er damit ein Gefühl vermitteln für den epochalen Charakter der einsteinschen Idee, Gravitation als eine geometrische Eigenschaft von Raum und Zeit aufzufassen. Die Tiefe dieses Gedankens erinnert viele an die Leistungen Newtons oder Maxwells, de Padova aber sieht hier einen noch radikaleren Schritt, der eher mit Keplers Erkenntnis zu vergleichen ist, dass die Planeten im Allgemeinen nicht auf Kreisbahnen laufen.
Doch es geht in diesem Buch keineswegs nur um Physik. Als Einstein 1914 nach Berlin berufen wurde, war er gerade dabei, seine Ehe zu ruinieren. Er hatte ein Verhältnis zu seiner Cousine Elsa begonnen, die er 1919 heiratete, wobei heute ein Dokument bekannt ist, nach dem Einstein im letzte Kriegsjahr auch ein Auge auf Elsas Tochter Ilse geworfen hatte, die als Sekretärin für ihn arbeitete, und sogar erwog, die Einundzwanzigjährige anstatt ihrer Mutter zu ehelichen.
Wie er indes seine erste Frau Mileva behandelte und sich mit der Trennung von seinen kleinen Söhnen abfand, wirft einen tiefen menschlichen Schatten auf das Genie, das in jeder anderen Hinsicht, nicht zuletzt in seinen antimilitaristischen Überzeugungen, als die Menschenfreundlichkeit selbst erscheint. So können de Padovas Leser auch darüber staunen, wie Einstein in der Arbeit an seiner Gravitationstheorie zwar vergleichsweise alleine vor sich hin werkelte, sozial jedoch im spätwilhelminischen Berlin alles andere als isoliert war. Trotz seiner politischen Gesinnung mochten ihn selbst sehr kaisertreue Kollegen gut leiden.
Das gilt insbesondere für Fritz Haber, den Vater des Gaskriegs, dessen Verhältnis zu Einstein de Padova besondere Aufmerksamkeit widmet. Dies zeigt, dass auch der öffentliche Einstein nicht frei von Widersprüchlichkeiten blieb. So ist auch relativ unbekannt, dass der große Theoretiker sich mitten im Krieg an der Verbesserung von Flugzeugflügeln übte. "Er ist Pazifist", resümiert de Padova im Anschluss an die Flugzeug-Episode, "aber nicht in letzter Konsequenz".
Thomas de Padova: "Allein gegen die Schwerkraft". Einstein 1914-1918.
Hanser Verlag, München 2015. 309 S., geb., 21,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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