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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Auf nichts ist Verlass, schon gar nicht auf den Erzähler: Norbert Gstrein liest in Frankfurt.
Von Florian Balke
Schön, wenn die Familie ein Hotel hat. Erst recht, wenn die landschaftliche Umgebung keine dahergelaufene Natur darstellt, sondern reiseführertauglich und daher lukrativ ist. Das war neulich schon bei Erik Fosnes Hansen so, der in "Ein Hummerleben" ein Familienhotel in der norwegischen Bergwelt entwarf. Auch in Norbert Gstreins neuem Roman "Als ich jung war" geht es in die Berge, die ja nicht erst seit Thomas Manns "Zauberberg", sondern schon seit der Sache mit Moses ein Ort der Erleuchtung, der Klarheit und der Offenbarung sind. In Österreich steht das Gasthaus, in dem der Vater von Gstreins Erzähler ein einträgliches Geschäft mit Hochzeiten aufgezogen hat, die der jugendliche Sohn fotografieren muss.
Doch wie es so ist im Leben und in der Kunst: Was die Vergangenheit, die Familie, andere Menschen und die Umgebung bedeuten, ist letztlich völlig unbedeutend. Durch die eigene Existenz muss jeder allein hindurch. Gedanken, Taten, Entscheidungen und Konsequenzen haben am Ende nur etwas mit dem eigenen Herzen und dem eigenen Verstand zu tun. Und da liegt einiges im Argen mit dem Erzähler des Romans, den Gstrein am Montag auf Einladung des Hessischen Literaturforums im Frankfurter Mousonturm vorstellt.
Da ist die Braut, die tot am Fuße des Schlossbergs liegt. Was hat Franz mit ihrem Tod zu tun? "Sie sind mir einer", hat sie am Tag zuvor beim Fototermin am Abgrund zu ihm gesagt: "Hat Ihnen noch niemand unterstellt, dass mit Ihnen vielleicht etwas nicht in Ordnung ist?" Und was ist mit dem Sterben diverser anderer Figuren, denen er später als Skilehrer in den Vereinigten Staaten und nach seiner Rückkehr in die österreichische Heimat begegnet? Alles nur Unglücksfälle, bezeugt von jemandem, der nicht viele Worte macht, weil er kaum Gefühle zulässt? Möglich. Aber wieso verschweigt Franz so viel? Ist er von den Umständen niedergedrückt oder hat er etwas zu verbergen, dessen Verstecken ihm trotz rund 350 Romanseiten erfolgreich gelingt? Ist er eher der niedergetretene Adam aus der Serie "Sex Education", deren zweite Staffel auf Netflix gerade angelaufen ist, oder doch eher Patricia Highsmiths Ripley, dessen Weg zu sich selbst mit Leichen gepflastert ist?
Der 1961 in Tirol geborene Gstrein spielt seit jeher gern mit dem Erzählen des Erzählten. Er studierte Mathematik in Innsbruck, Stanford und Erlangen und debütierte 1988 bei Suhrkamp mit der Erzählung "Einer". Seit 2010 veröffentlicht er bei Hanser, wo "Als ich jung war" im September erschienen ist. Hierzulande ist der Roman vor lauter Longlist-Shortlist-Gerede rund um den Deutschen Buchpreis ein wenig untergegangen. Immerhin der Österreichische Buchpreis ist ihm wenig später aber zuerkannt worden. Den gibt es zwar erst seit kurzem, aber mit 20 000 Euro dotiert ist er auch. Das ist dann fast schon genauso viel wie bei der Auszeichnung, die zur Buchmesse im Kaisersaal vergeben wird.
Unabhängig vom Geld, das es Autor und Verlag einspielt, ist "Als ich jung war" ein klug gemachtes Buch, das bei Einkauf oder Lesung jeden Euro wert ist. In einer Zeit der narrativen Vereinfachung, die mehrere Blickwinkel auf das Geschehen nur noch aushält, wenn sie fein säuberlich getrennt in jeweils eigenen Kapiteln aufgehoben sind, entdeckt es immerhin den Erzähler wieder, auf den der Leser sich nicht verlassen kann. So belebend wie Bergluft.
NORBERT GSTREIN
27. Januar, 19.30 Uhr, Hessisches Literaturforum, Frankfurter Mousonturm
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