Sensibel erzählte Geschichte von sozialem Abstieg:
Christian Schünemann, bisher eher für Krimis bekannt, hat sich mit diesem Roman in den Bereich der autofiktionalen Literatur begeben, und das gleich in hoher Qualität. In "Bis die Sonne scheint" erzählt er einen Ausschnitt aus seiner eigenen
Familiengeschichte, basierend auf seinen Jugenderinnerungen sowie auf vielen Briefen, die die…mehrSensibel erzählte Geschichte von sozialem Abstieg:
Christian Schünemann, bisher eher für Krimis bekannt, hat sich mit diesem Roman in den Bereich der autofiktionalen Literatur begeben, und das gleich in hoher Qualität. In "Bis die Sonne scheint" erzählt er einen Ausschnitt aus seiner eigenen Familiengeschichte, basierend auf seinen Jugenderinnerungen sowie auf vielen Briefen, die die mittlerweile verstorbene Mutter mit ihrer in Amerika lebenden Schwester ausgetauscht hat.
Überwiegend spielt die Handlung in den 1980er Jahren, doch es gibt auch immer wieder Rückblenden in frühere Zeiten, sodass wir erfahren, woher die väterliche und die mütterliche Seite der Familie kommen, wie die Eltern aufgewachsen sind und was sie geprägt hat. Das schafft nochmal mehr Verständnis und Mitgefühl.
Durch die Augen des jugendlichen Daniels, der jüngste von vier Geschwistern und kurz vor der Konfirmation stehend, erleben wir, wie eine ehemals erfolgreiche und sehr fleißige Familie in immer größere finanzielle Schwierigkeiten gerät, vor denen die Eltern jedoch die Augen verschließen. Die unternehmerische Tätigkeit des Vaters läuft aufgrund veränderter wirtschaftlicher Bedingungen und eigener kurzfristiger Planung nicht mehr so wie früher, und auch die Versuche der Mutter, Geld zu verdienen, sind nicht dauerhaft erfolgreich, sodass bald der Exekutor vor der Tür steht und "Kuckuck-Pfändungsmarken" auf Klavier und Fernseher klebt.
Daniel muss sich für seine Konfirmation mit einer viel kleineren Feier und bescheidenerer Kleidung zufrieden geben, auch der ersehnte Frankreich-Trip mit der Schule ist nicht mehr möglich... und doch schmeißen die Eltern auch immer wieder impulsiv für scheinbar sinnlosen Konsum das Geld zum Fenster heraus, während die finanzielle Misere immer größer wird. Man will sich schließlich belohnen. Und man lebt in einer Zeit und einem sozialen Umfeld, in dem es extrem wichtig ist, zu zeigen, wer man ist und was man hat.
Aus der Nachkriegsarmut kommend haben die Eltern sich mit harter Arbeit und Fleiß ihren Wohlstand und Status bitter erarbeitet... umso schwieriger ist es, den Tatsachen des immer größer werdenden finanziellen Ruins ins Auge zu sehen... da fährt man lieber noch schnell ein letztes Mal auf Urlaub, dorthin, wo die Sonne scheint - während daheim das Haus demnächst zwangsversteigert wird und die Kaufinteressenten schon im Garten stehen.
Es ist eine Familiengeschichte von sozialem Aufstieg, Abstieg und Verleugnung. Ein Zeitporträt der 1980er Jahre in der BRD und der damals weit verbreiteten Werte. Dabei gelingt es dem Autor, seine Familie keineswegs vorzuführen oder zu verurteilen, sondern durch die vielschichtige und mehrere Jahrzehnte umfassende Betrachtungsweise und die sensible Charakterisierung der einzelnen Figuren auch Mitgefühl und Verständnis für sie zu schaffen.
Sprachlich liest sich das Buch angenehm, locker und unterhaltsam, ist vom Stil her zugänglich und interessant, und regt bei aller Leichtigkeit doch zum Nachdenken über sozialen Aufstieg und Abstieg, Ehrlichkeit vs. Verschweigen in der Familie und in der Gesellschaft und generell die gesellschaftlichen Werte in der BRD im 20. Jahrhundert an. Wer zu dieser Zeit gelebt hat, wird einiges wieder erkennen. Wer jünger ist, kann einiges lernen, was zum besseren Verständnis älterer Generationen beitragen kann. Damit ist es ein empfehlenswertes Buch für eine breite Leserschaft.