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Kunstfertig: Kathrin Schmidts "blinde bienen"
Von Jochen Hieber
Im vergangenen Jahr veröffentlichte die 1958 in Gotha geborene Autorin Kathrin Schmidt ihren vierten Roman. "Du stirbst nicht" erzählt von einer blitzartig lebensbedrohenden Krankheit und dem allmählichen Gesunden nach einer riskanten Operation. Indem sie Sprechen, Lesen und Schreiben ganz neu lernen muss, erobert sich die Hauptfigur, eine Schriftstellerin, die Welt zurück. "Du stirbst nicht" ist das bisher bedeutendste Werk der Kathrin Schmidt - und ein exemplarisches obendrein.
Ihr Schreibleben begonnen hat sie mit Gedichten. Der frühen Lyrik widmete sich 1982 ein Band der renommierten DDR-Reihe "Poesiealbum", Mitte der neunziger Jahre erschien bei Suhrkamp die Sammlung "Flußbild mit Engel". Danach machte Kathrin Schmidt vor allem als Erzählerin von barocker Sprachkraft auf sich aufmerksam. "GO-IN der Belladonnen", der bisher letzte Lyrikband, liegt nun schon ein Jahrzehnt zurück.
Prosa und Poesie verhalten sich in ihrem Fall zueinander wie kommunizierende Röhren: Nach oben hin und also ins Offene hinaus entfaltet sich jedes Genre nach seiner eigenen Fasson, unten aber, am Grund des Schreibens, sind sie eng verbunden. Wodurch? Vorab durch eine schier unbändige Worterfindungslust als dem besten, mithin notwendigen Gegenmittel wider das Stummbleiben etwa im autoritären Staat oder das Stummwerden aus existentieller Not. Nicht erst seit dem jüngsten Roman, sondern von allem Anfang war dieses Antidot ein entscheidender Antrieb in Kathrin Schmidts Sprachwerkstatt. Dass sie in deren lyrischer Abteilung auf konsequenter Kleinschreibung besteht, hat auch damit zu tun. Wenn jedes Wort ein so kostbares wie beschwerliches Finden und Erfinden verlangt, haben alle Wörter untereinander den Anspruch, zumindest zeichenhaft gleichrangig zu sein.
Das übermütigste Gedicht im neuem Poesiebuch "blinde bienen" heißt "effendi im effektenfieber". Es zeigt uns einen etwas stürmischen Herrn, eben den "effendi" des Titels, der sich auf Brautschau begibt. Ihrerseits wertbeständig soll die zu Erwählende sein, zugleich aber auch der Wertsteigerung des Werbenden dienen - der Effekt, den sie macht, dient seinen Effekten. Welch ein trefflicher Anlass für die Feministin Kathrin Schmidt, nun als Poetin ihre ganz singuläre Alliterations- und Allusionsenergie so recht in Schwung zu bringen und dann so frei wie gezielt walten zu lassen.
Angespielt wird dieses Mal auf Ernst Jandls absichtsvoll frauensarkastisches Poem "Eulen": "bist frau? bist eulen?" hebt der "effendi" an. Sodann treten vom "hemdchen" übers "brüstlein" bis zum "röckchen" putzmuntere Diminuitive auf, um gleichermaßen für Verlockung wie Verwirrung zu sorgen. Eine Pointe des Gedichts verdankt sich dem Doppelsinn des Wortes "Anzug": Der Werbende wähnt Zurückweisung "im anzug", steckt aber auch in einem. Beide Wortbedeutungen fügt Kathrin Schmidt zunächst eng aneinander, um sie dann durch einen ihrer expressiven poetischen Punkte - "punkt. machen" heißt ein Programmgedicht des Bandes - gleich wieder messerscharf zu trennen. Aus dem Anzug fällt der "effendi" deshalb, darf zur Strafe unter den Säulenheiligen Platz nehmen und wird zum gutbösen Beschluss, Berlichingen lässt grüßen, vom "eulenfräulein" noch "mit einem runden / ja" allerwertest verabschiedet.
Gut gelaunt und heiter führt "effendi im effektenfieber" das artistische Arsenal vor, über das die Dichterin auch bei ernsten, gar todtraurigen Versanlässen gebietet, etwa beim lyrischen Nachruf auf den an Lungenkrebs gestorbenen Dichterkollegen Thomas Kling: "bronchiale stunts" lautet der aus Verzweiflung herbe Titel. Fast alle Gedichte werden von einem lyrischen Ich im Gang gehalten, das sich im Selbstgespräch als mal vertraute, mal sehr fremde, immer jedoch als andere, zweite Person wahrnimmt - "ich häftlingin du". Unter den erkennbar autobiographisch grundierten Poemen leuchtet ebenfalls ein Nachruf hervor, dieses Mal einer zu Lebzeiten und auf jenen "zerbrochenen bruder", der bei der Stasi war und doch im "schädelfach" der Schwester ein ganz Naher, ein Nächster bleibt.
Sieht man von einigen zu üppig, damit wohlfeil gesetzten Genitivmetaphern wie dem "pfahl des verzeihens" oder der "sprachenbrache des erinnerns" einmal ab, herrscht in Kathrin Schmidts "blinden bienen" allenthalben die reine Kunstfertigkeit. Sie zu bewundern ist legitim, auf die Dauer, es sei zugegeben, aber auch etwas anstrengend. Diese Dichterin verlangt stets nach dem erkennenden Leser. Ihn ohne intellektuellen Umweg unmittelbar zu rühren käme ihr nie in den Sinn.
Kathrin Schmidt: "blinde bienen". Gedichte. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010. 90 S., geb., 16,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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