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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Willkommen in einem Bestiarium des Sozialismus, wie es in den Siebzigerjahren zu erleben war: Dorota Maslowskas Roman "Bowie in Warschau"
Ein Romantitel wie "Bowie in Warschau" löst bei Anhängern des britischen Popstars und Schauspielers seliges Kopfnicken aus. David Bowie fuhr zweimal mit dem Zug durch Warschau, 1973 und 1976. Die Züge zwischen Westeuropa und Moskau hielten damals aus technischen Gründen im Danziger Bahnhof der polnischen Hauptstadt, und bei einem der beiden Aufenthalte soll sich Bowie die Beine in Warschau vertreten haben. Er ging zum Platz der Pariser Kommune und kaufte in einem Laden eine Platte der oberschlesischen Volksmusikgruppe Slask, die ihn zu seinem semireligiösen Song "Warszawa" inspiriert haben soll.
Mit Bowie beginnt der nach ihm benannte Roman der polnischen Schriftstellerin Dorota Maslowska. Sie lässt ihn aus Moskau zurückkehren. Während draußen die endlosen grünen Wiesen Polens vorbeiziehen, tippt er ziellos auf einem der damals neuen Taschenrechner herum. Beim Halt in Warschau steigt Bowie aus und wird im Roman dann lange nicht mehr gesehen. Während er "sich in der Dunkelheit des Bahnhofs" verliert, lässt Dorota Maslowska das Innere einer und zugleich vieler Plattenbauwohnungen aufsteigen: "Ein einziger Raum, in den viele Räume gestopft sind. Die Konturen der hier kumulierten Lebensüberfülle werden sichtbar . . . Gestaute, ansteckende Gestalten, die des Nachts Ungeheuer gebären."
Wie sich zeigen wird, nicht nur des Nachts. Willkommen im Bestiarium des Sozialismus der 1983 geborenen Autorin, deren im Alter von neunzehn Jahren veröffentlichtes Debüt "Schneeweiß und Russenrot" wegen seines rotzigen, an den Rap erinnernden Tons gefeiert wurde. Vorbehalte gegenüber manch trivialen Versatzstücken der Handlung, einer Verfallsgeschichte voller Drogen, Klischees und nationalistischem Hass, wurden damals jedenfalls hierzulande eher vorsichtig geäußert. Bei "Bowie in Warschau" dürften sie nun lauter werden.
Aus dem "einzigen Raum" lässt Dorota Maslowska nicht nur viele werden, sondern auch eine Bühne, auf der ihre Figuren wie in einem Theaterstück agieren und sprechen. Maslowskas Warschau fürchtet sich vor einem Wiedergänger von Jack the Ripper: Ein Würger vergewaltigt Frauen und ermordet sie. Das sonstige Geschehen ist nur wenig gesitteter: Die Putzfrau Nastka war mit einem Trinker verheiratet, der sie schlug und zur Mutter dreier bösartiger Strolche gemacht hat. Eine ältere Frau ist mit ihrer Schwester seit Jahrzehnten wegen eines im Zweiten Weltkrieg arg ramponierten Erbstücks, eines Nachttischs, zerstritten. Ihre schöne Tochter Regina will sie mit einem ebenso dummen wie hässlichen Champignonzüchter verkuppeln. Dessen tumbe Annäherungen erduldet Regina ebenso depressiv gleichgültig wie die Nachstellungen ihres Chefs in der Buchhandlung und die nicht uneigennützige, recht lüsterne Sexualaufklärung durch ihre Cousine Klotylda. Regina graut es vor dem, was andere Leben nennen.
Als sie schon auf dem Brückengeländer steht, rettet sie der nach dem Frauenwürger suchende Polizist Kretek. Er tippt nachts erstaunliche Beobachtungen und Gedanken, die in keine Ermittlungsakte passen, in die Schreibmaschine, was seine Frau am Schlafen hindert.
Regina und Kretek leiden jeweils an der Prosa der sozialistischen Verhältnisse, die anderen Figuren immerhin noch an gekränkter Eitelkeit und enttäuschten Hoffnungen. Der Chef der Buchhandlung schrieb glücklos Romane und wütet daher gegen alle erfolgreichen Schriftsteller. Die Desillusionierten sorgen für die Desillusionierung der anderen, wie der Polizist Kretek weiß: "Sie werden sich selbst kurzhalten, niemand wird aufmucken. Dick schmieren sie sich mit Scheiße ein, und endlich wird es so sein, wie sie es kennen, wie sie es mögen, wie sie es brauchen." Kein anderer als Kretek ist es denn auch, der den Versuch der schönen Regina vereitelt, das bekannte künstlerische Motiv des Selbstmords aus Lebensüberdruss leibhaftig darzustellen. Weder Kunst noch Reflexion bieten bei Dorota Maslowska einen Ausweg aus Heimtücke, Niedertracht und Aggression.
All dies schildert die polnische Schriftstellerin in Genrebildern und gern trashig: Klotyldas handgreifliche Versuche etwa, Regina aufzuklären über das viehische Geschehen zwischen Männern und Frauen, führen zu beklemmenden Traumszenen lesbischer Liebe mit einer Pfeffergurke in der Hauptrolle. Die Putzfrau Nastka taucht mit ihrem Lappen in verschiedenen Szenen auf und verbindet das ansonsten Unverbundene ebenso wie ein Taschenrechner, auf dem eben nicht nur David Bowie Phantasiezahlen addiert, subtrahiert und teilt. Der Popstar taucht dann auch wieder auf. Fast hätte man ihn vergessen. JÖRG PLATH
Dorota Maslowska: "Bowie in Warschau". Roman.
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 126 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willkommen in einem Bestiarium des Sozialismus, wie es in den Siebzigerjahren zu erleben war: Dorota Maslowskas Roman "Bowie in Warschau"
Ein Romantitel wie "Bowie in Warschau" löst bei Anhängern des britischen Popstars und Schauspielers seliges Kopfnicken aus. David Bowie fuhr zweimal mit dem Zug durch Warschau, 1973 und 1976. Die Züge zwischen Westeuropa und Moskau hielten damals aus technischen Gründen im Danziger Bahnhof der polnischen Hauptstadt, und bei einem der beiden Aufenthalte soll sich Bowie die Beine in Warschau vertreten haben. Er ging zum Platz der Pariser Kommune und kaufte in einem Laden eine Platte der oberschlesischen Volksmusikgruppe Slask, die ihn zu seinem semireligiösen Song "Warszawa" inspiriert haben soll.
Mit Bowie beginnt der nach ihm benannte Roman der polnischen Schriftstellerin Dorota Maslowska. Sie lässt ihn aus Moskau zurückkehren. Während draußen die endlosen grünen Wiesen Polens vorbeiziehen, tippt er ziellos auf einem der damals neuen Taschenrechner herum. Beim Halt in Warschau steigt Bowie aus und wird im Roman dann lange nicht mehr gesehen. Während er "sich in der Dunkelheit des Bahnhofs" verliert, lässt Dorota Maslowska das Innere einer und zugleich vieler Plattenbauwohnungen aufsteigen: "Ein einziger Raum, in den viele Räume gestopft sind. Die Konturen der hier kumulierten Lebensüberfülle werden sichtbar . . . Gestaute, ansteckende Gestalten, die des Nachts Ungeheuer gebären."
Wie sich zeigen wird, nicht nur des Nachts. Willkommen im Bestiarium des Sozialismus der 1983 geborenen Autorin, deren im Alter von neunzehn Jahren veröffentlichtes Debüt "Schneeweiß und Russenrot" wegen seines rotzigen, an den Rap erinnernden Tons gefeiert wurde. Vorbehalte gegenüber manch trivialen Versatzstücken der Handlung, einer Verfallsgeschichte voller Drogen, Klischees und nationalistischem Hass, wurden damals jedenfalls hierzulande eher vorsichtig geäußert. Bei "Bowie in Warschau" dürften sie nun lauter werden.
Aus dem "einzigen Raum" lässt Dorota Maslowska nicht nur viele werden, sondern auch eine Bühne, auf der ihre Figuren wie in einem Theaterstück agieren und sprechen. Maslowskas Warschau fürchtet sich vor einem Wiedergänger von Jack the Ripper: Ein Würger vergewaltigt Frauen und ermordet sie. Das sonstige Geschehen ist nur wenig gesitteter: Die Putzfrau Nastka war mit einem Trinker verheiratet, der sie schlug und zur Mutter dreier bösartiger Strolche gemacht hat. Eine ältere Frau ist mit ihrer Schwester seit Jahrzehnten wegen eines im Zweiten Weltkrieg arg ramponierten Erbstücks, eines Nachttischs, zerstritten. Ihre schöne Tochter Regina will sie mit einem ebenso dummen wie hässlichen Champignonzüchter verkuppeln. Dessen tumbe Annäherungen erduldet Regina ebenso depressiv gleichgültig wie die Nachstellungen ihres Chefs in der Buchhandlung und die nicht uneigennützige, recht lüsterne Sexualaufklärung durch ihre Cousine Klotylda. Regina graut es vor dem, was andere Leben nennen.
Als sie schon auf dem Brückengeländer steht, rettet sie der nach dem Frauenwürger suchende Polizist Kretek. Er tippt nachts erstaunliche Beobachtungen und Gedanken, die in keine Ermittlungsakte passen, in die Schreibmaschine, was seine Frau am Schlafen hindert.
Regina und Kretek leiden jeweils an der Prosa der sozialistischen Verhältnisse, die anderen Figuren immerhin noch an gekränkter Eitelkeit und enttäuschten Hoffnungen. Der Chef der Buchhandlung schrieb glücklos Romane und wütet daher gegen alle erfolgreichen Schriftsteller. Die Desillusionierten sorgen für die Desillusionierung der anderen, wie der Polizist Kretek weiß: "Sie werden sich selbst kurzhalten, niemand wird aufmucken. Dick schmieren sie sich mit Scheiße ein, und endlich wird es so sein, wie sie es kennen, wie sie es mögen, wie sie es brauchen." Kein anderer als Kretek ist es denn auch, der den Versuch der schönen Regina vereitelt, das bekannte künstlerische Motiv des Selbstmords aus Lebensüberdruss leibhaftig darzustellen. Weder Kunst noch Reflexion bieten bei Dorota Maslowska einen Ausweg aus Heimtücke, Niedertracht und Aggression.
All dies schildert die polnische Schriftstellerin in Genrebildern und gern trashig: Klotyldas handgreifliche Versuche etwa, Regina aufzuklären über das viehische Geschehen zwischen Männern und Frauen, führen zu beklemmenden Traumszenen lesbischer Liebe mit einer Pfeffergurke in der Hauptrolle. Die Putzfrau Nastka taucht mit ihrem Lappen in verschiedenen Szenen auf und verbindet das ansonsten Unverbundene ebenso wie ein Taschenrechner, auf dem eben nicht nur David Bowie Phantasiezahlen addiert, subtrahiert und teilt. Der Popstar taucht dann auch wieder auf. Fast hätte man ihn vergessen. JÖRG PLATH
Dorota Maslowska: "Bowie in Warschau". Roman.
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2022. 126 S., geb., 22,- Euro.
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