1633 wütete die Pest in Oberammergau. In höchster Not schlug die Gemeinde Gott einen Handel vor: Würde er das Dorf von der Pest befreien, wolle man fortan alle zehn Jahre das Spiel von Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu Christi aufführen. Von da an sei niemand mehr gestorben, und Oberammergau erfüllt seine Vertragspflicht bis heute, in der Regel im letzten Jahr eines Jahrzehnts. So oder ähnlich ist die Geschichte des Oberammergauer Passionsspiels vielerorts zu lesen. Statt sie noch einmal zu erzählen, fragt dieses Buch danach, was die 'Institution' Oberammergau ist, was sie leistet und warum sie bis heute funktioniert. Es fragt nach historischen Um- und Seitenwegen, nach den politischen, sozialen und ästhetischen Imaginationen, die das 'Passionsdorf' bei seinen Besucher*innen und seinen Einwohner*innen auslöst, nach der Inszenierung von Brüchen und Kontinuitäten und nach der Gegenwart der Passion in einer multiplen Moderne. Dazu verhandelt es Reisedispositive von Oberammergau ebenso wie Raum- und Zeitordnungen des Dorfes, seines Theaters und seines Umlands. Weiterhin untersucht es die literarische Produktivität des Oberammergau-Phänomens, die Hybridisierungen des Spiels und die Heterogenität seiner Schau- und Spielkollektive seit dem 19. Jahrhundert. Schließlich nimmt es auch die Selbstarchivierungen und Selbstpräsentationen der Spielgemeinde und die 'Dinge der Passion' in den Blick, die Konsistenz und Stabilität suggerieren, aber immer wieder anders in Narrative und in performative Zusammenhänge eingebunden sind. Die vorliegende Studie bündelt Ergebnisse eines seit 2017 laufenden interdisziplinären Forschungsprojekts, zielt darüber hinaus aber auch auf eine weitere vertiefte Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte der Passionsspiele: mit medievalism und multiplen Modernen, mit heiligem Leid im Theater, mit Ästhetik und Ethik von Institutionalität. Neben einer linearen Lektüre laden ein ausführliches Register und ein Querverweissystem zu einem abschnittsweisen oder thematisch springenden Lesen ein.
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