Der Preis des sorglosen Umgangs mit unseren Daten:
Sara Hussein hat vor kurzem gemeinsam mit ihrem Mann Elias Babyzwillinge bekommen. Weil sie vor lauter Übermüdung kaum mehr funktionieren konnte, hat sie sich eine Neuroprothese zur Schlafverbesserung in ihren Kopf einsetzen lassen. Ihr Mann
hatte so etwas schon seit längerem und sie wollte mit ihm mithalten und auch für ihre Kinder eine wache,…mehrDer Preis des sorglosen Umgangs mit unseren Daten:
Sara Hussein hat vor kurzem gemeinsam mit ihrem Mann Elias Babyzwillinge bekommen. Weil sie vor lauter Übermüdung kaum mehr funktionieren konnte, hat sie sich eine Neuroprothese zur Schlafverbesserung in ihren Kopf einsetzen lassen. Ihr Mann hatte so etwas schon seit längerem und sie wollte mit ihm mithalten und auch für ihre Kinder eine wache, präsente Mutter sein können. Außerdem nutzt Sara schon lange, wie so viele von uns, das Internet und Social Media, hinterlässt überall ihre digitalen Spuren und wird auch im analogen Leben oft von Videokameras aufgezeichnet. Ist ja nichts dabei, das ist ja jetzt unser Leben, oder?
Bis all diese Kleinigkeiten Sara zum Verhängnis werden: auf der Rückreise von einer Konferenz in London fällt sie bei der Einreise in die USA bei der Sicherheitskontrolle auf. Eines kommt zum anderen: durch die Neuroprothese wurden Saras Träume ausgewertet und ihr wird vorgeworfen, eine Gefahr für ihren Mann zu sein. Der Algorithmus habe durch die Analyse ihrer Träume, gemeinsam mit anderen gesammelten und willkürlich gewichteten, gegen sie verwendeten Informationen aus ihrem Leben, einen zu hohen Risikowert ausgerechnet, deshalb müsse sie vorerst für drei Wochen zur eigenen und fremden Sicherheit in einem Zentrum "einbehalten" werden. Das sei kein Gefängnis, nur eine Sicherheitsmaßnahme, und ja auch erst einmal nur für drei Wochen. Dass Sara verzweifelt versucht, sich gegen die Einweisung zu wehren, verschlechtert ihren Risikowert weiter.
Schnell stellt sich heraus, dass sich das Einbehaltezentrum nur wenig von einem Gefängnis unterscheidet und die Insassinnen kaum Rechte haben. Es gibt ein langes Regelbuch, das jede auswendig lernen muss, zusätzlich können aber ständig willkürlich neue Regeln aufgestellt oder Privilegien entzogen werden. Verlangt wird absolute Unterwerfung unter das System und Gehorsam gegenüber den Aufsehern, doch auch dann wird kaum eine Frau nach den versprochenen drei Wochen entlassen, sondern der Aufenthalt wird immer wieder verlängert, auf unbestimmte Zeit.
Parallel dazu erleben wir eine Gesellschaft, die sich damit abgefunden hat, dass die Daten von Menschen überall ausgewertet und kommerziell und politisch genutzt werden. Viele finden es sogar gut, dass damit die Gesellschaft sicherer werde, weil zukünftige Verbrechen verhindert werden würden, wenn man Menschen festnehmen könne, bevor sie diese begehen würden. Das ungerechte und menschenverachtende System dahinter wird nur von wenigen erkannt oder angezweifelt. Das muss auch Sara nach ihrer Festnahme erfahren: alle glauben an das System und seine Gerechtigkeit. Wer inhaftiert wurde, mit der muss irgendetwas nicht stimmen. Ihr Mann wirft ihr vor, sich im Zentrum offensichtlich nicht kooperativ genug zu verhalten, sonst wäre sie ja schon längst wieder frei. Auch ihr Vater – ein marokkanischer Immigrant, der sein ganzes Leben lang gelernt hat, sich dem amerikanischen System anzupassen und sich unauffällig zu verhalten – meint, sie wäre wohl nicht unterwürfig genug aufgetreten, sonst wäre sie am Flughafen nicht festgenommen worden.
Auch die Frauen, die neu in das Zentrum eingeliefert werden, glauben anfangs immer noch, dass sie sich mit Wohlverhalten eine schnelle Entlassung verdienen könnten und nur „die anderen“ die gefährlichen potentiellen Straftäterinnen seien, nicht sie selbst. So kommt es, auch verstärkt durch die ständige Überwachung, sehr lange zu kaum Solidarisierung unter den inhaftierten Frauen.
Das „Dream-Hotel“ von Laila Lalami ist eine kluge und erschreckende, sehr realistisch konstruierte Dystopie, die in einer nicht so fernen Zukunft spielt und unserer modernen Gesellschaft in vielem einen Spiegel vorhält. Abgesehen von der Träume aufzeichnenden Neuroprothese gibt es große technologische und gesellschaftliche Ähnlichkeiten zu der Zeit, in der wir uns schon jetzt befinden. Es ist also ein sehr kluges Buch, das nachdenklich darüber macht, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, aber auch, in welcher wir jetzt schon leben und welches enorme Risiko damit verbunden ist, unsere Daten gewinnorientierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen – aber auch, wie schwierig es ist, aus diesem System auszusteigen: auch im Buch gibt es einzelne Aussteiger, aber diese müssen wie vor Jahrhunderten leben, um sicherzustellen, keine Daten von sich preiszugeben.
Geschrieben ist das Buch auf eine sehr spannende, aber auch beklemmende Art und Weise. Ich habe mich sehr mit der „einbehaltenen“ Sara und den anderen Frauen verbunden gefühlt, mit ihnen mitgefiebert, auf Entlassung gehofft und bin mit ihnen wütend über dieses zutiefst ungerechte System geworden. Die Lektüre hat also neben dem aufrüttelnden Faktor auch einen guten Unterhaltungswert.
Das Ende habe ich auch durchaus plausibel gefunden, auch wenn man inhaltlich aus einigen Themensträngen und aus dem Thema insgesamt noch ein bisschen mehr machen hätte können, deshalb in Summe 4 von 5 Sternen.