Ein paar kritische Anmerkungen zu dem sehr lesenswerten Buch über die Entstehungsursachen und Entwicklungsverläufe des Kapitalismus in Europa. Mängel und Schwächen des Buches resultieren daraus, dass es mancherorts an einer Rezeption und Diskussion vorhandener Forschungsliteratur durch den Autor
fehlt. Einige seiner Thesen und Argumente eingangs des Dritten Kapitels (über die "schwarzen Jahre des…mehrEin paar kritische Anmerkungen zu dem sehr lesenswerten Buch über die Entstehungsursachen und Entwicklungsverläufe des Kapitalismus in Europa. Mängel und Schwächen des Buches resultieren daraus, dass es mancherorts an einer Rezeption und Diskussion vorhandener Forschungsliteratur durch den Autor fehlt. Einige seiner Thesen und Argumente eingangs des Dritten Kapitels (über die "schwarzen Jahre des Kapitalismus" von 1914-1945) erscheinen angreifbar.
Was den Kriegsausbruch 1914 betrifft, so unterlässt es Plumpe, auf die unter Historikern seit langem geführte Kriegsursachen-, Kriegsziel- und Kriegsschulddebatte näher einzugehen. Für ihn war der Kriegsausbruch "das ungeplante Ergebnis einer der zahlreichen diplomatischen und politischen Krisen der Jahre vor 1914" (S. 286). Der Autor teilt hier den Standpunkt des australischen Historikers Christopher Clark. Dieser stellt in seinem auch in deutscher Übersetzung erschienenen Buch "The Sleepwalkers: How Europe Went to War in 1914", London 2012, die These in Frage, dass das Deutsche Kaiserreich die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trage.
In der deutschen Geschichtswissenschaft wird seit der "Fischer-Kontroverse" in den 1960er Jahren überwiegend die Ansicht vertreten, dass das Deutsche Kaiserreich die Hauptverantwortung dafür trug, dass die Juli-Krise von 1914 in den Ersten Weltkrieg mündete. Historiker wie Hans-Ulrich Wehler, Heinrich August Winkler, Volker Ullrich, Klaus Wernecke und Lothar Machtan gingen auf deutliche Distanz zu Clarks Darstellung. (Der Rezensent vermisst in dem Buch eine Würdigung wichtiger Faktoren wie zum Beispiel der Interessen und Expansionspläne der deutschen Industrie. Clarks plakative Imperialismusthese greift da viel zu kurz.)
Plumpe irrt, wenn er behauptet, dass die Kriegsziele der deutschen Industrie und die entsprechenden, auf Vorstellungen eines autonom beherrschten europäischen Wirtschaftsgroßraums aufbauenden Expansionsplanungen "durchweg aus der Kriegszeit selbst" gestammt hätten (S. 288). Nein, die Kriegszieldebatte und die Expansionsplanungen - bei denen die Möglichkeit eines Ausbruchs militärischer Feindseligkeiten billigend in Kauf genommen wurde - reichten weit hinter 1914 zurück. Es gab hier klare Kontinuitätslinien.
Den Zusammenhang zwischen großkapitalistischen, großindustriellen Expansionszielen einerseits und staatlichem imperialem Weltmachtstreben andererseits hatte erstmals der Politikwissenschaftler Reinhard Opitz systematisch untersucht, vgl. Reinhard Opitz (Hrsg.), "Europastrategien des deutschen Kapitals 1900-1945", Köln 1977, 1069 S., mit 152 zeitgenössischen Dokumenten. In einem längeren Vorwort stützt Opitz seine Analyse auf Primärquellen wie Vorträge, Denkschriften, Briefe und Sitzungsprotokolle. Aus seinem Resümee auf S. 28: "Es war ja keineswegs so, dass etwa erst der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die in der Flut industrieller Kriegszieleingaben sich manifestierenden Expansionsgelüste des deutschen Kapitals geweckt hätte, es hatten umgekehrt diese zum Krieg getrieben."
An den Planungen waren, so Opitz, zwei Agitationsverbände mit imperialistischen Zielsetzungen maßgeblich beteiligt: zum einen der Alldeutsche Verband, hinter dem vor allem schwerindustrielles Kapital gestanden hätte, und zum anderen der von neuindustriellen Kapitalinteressen, darunter solchen von Chemie- und Elektrokonzernen, getragene Mitteleuropäische Wirtschafts-Verein.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs folgte - wie Plumpe zu Recht feststellt (S. 286) - keiner ökonomischen Logik. Er resultierte aber aus einer machtdarwinistischen Logik. In einflussreichen, ja tonangebenden Kreisen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands pries man den Krieg als höchste Herausforderung, der sich eine Nation stellen könne, um die ihr innewohnenden Stärken und Tugenden zu mobilisieren und wirksam zu demonstrieren.
Plumpe behauptet (S. 288), dass es vor dem Krieg in den westlichen Staaten und in Deutschland "bestenfalls kleine 'be