"»Was hältst du von Mandelstam?« Boris Pasternaks Antwort »Wir sind verschieden, Genosse Stalin«" | 15
Der berühmte Anruf von Stalin in 1934 ist das Zentrum des Romans des bekannten albanischen Schriftstellers Ismail Kadare, der 2018 posthum in Albanien veröffentlicht wurde und nun in der
Übersetzung von Joachim Röhm auch dem deutschsprachigen Lesepublikum vorliegt.
Der russisch-jüdische…mehr"»Was hältst du von Mandelstam?« Boris Pasternaks Antwort »Wir sind verschieden, Genosse Stalin«" | 15
Der berühmte Anruf von Stalin in 1934 ist das Zentrum des Romans des bekannten albanischen Schriftstellers Ismail Kadare, der 2018 posthum in Albanien veröffentlicht wurde und nun in der Übersetzung von Joachim Röhm auch dem deutschsprachigen Lesepublikum vorliegt.
Der russisch-jüdische Dichter Mandelstam fiel kurz vor dem berühmten Anruf in Ungnade und starb später im Gulag. Sein Freund und Kollege, der berühmte Boris Pasternak, der Jahre später Doktor Shiwago erschuf, hat ihn verraten, oder nicht? War das Verrat? Hatte Pasternak Angst? Was wurde in diesem berühmten dreiminütigen Telefonat zwischen Stalin und Pasternak gesprochen, was gedacht und was verstanden?
Ganze dreizehn Versionen findet der albanische Schriftsteller, das Alterego Kadares, der sich sein Leben lang mit den Ereignissen im fernen Moskau von 1934 beschäftigt. In seiner Moskauer Zeit stieß er auf die Anekdote des Telefonats, 1976 verarbeitete er sie versteckt in einem Roman. Genosse Stalin und Onkel Enver gingen längst getrennte Wege, Albanien wendete sich von der Sowjetunion ab. Und doch rückt Kadare Stalin und Hoxha stets nahe zueinander. Mit seiner Zuwendung und seinen Untersuchungen der mystisch aufgeladenen sowjetischen Anekdote der Literaturgeschichte erzählt er ebensoviel über seine eigene Situation als Dichter und Denker im albanischen totalitären Regime, wie über das sowjetische Regime und das historische Ereignis selbst. Im Roman von 1976 etwa ruft Hoxha Kadare an, nicht Stalin Pasternak. Mit Zensur im Nacken und im Schreiben wird die versteckte Anspielung auf Pasternak durchgewinkt, während andere Literaten dem Regime zum Opfer fallen.
Dichtung und Macht verhandelt Kadare zwischen den Zeilen und Fronten, sich fragend, welche Möglichkeiten Dichtern offen stehen, sich gegen den Staat, gegen offen verfolgte Dichterkollegen zu stellen "oder neutral bleiben" (15) ebenso wie die Frage, was diese Situation mit dem Dichter, der Dichtung und der Rezeption macht. Wie Erinnerung sich verformt und unzuverlässig bleibt, wie Beziehungen, das Politische und historische Ereignisse das sagbare verformen, exerziert Kadare in seiner Untersuchung des berühmten Telefonats durch und entlastet dabei fast nebenbei all jene Dichter, die sich mit den Mächtigen in totalitären Regimen arragieren. Nicht nur angesichts des historisch viel beachteten Telefonats, sondern auch wegen der viel und kontrovers diskutierten Rolle des Autors selbst mit seiner Kritik und Nähe zum Hoxha-Regime, ist DER ANRUF ein spannendes Stück Literatur.
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"Die Geschichte hat drei Protagonisten, Pasternak, Stalin und Mandelstam... Dass hier etwas nicht zusammen passt, ist auf den ersten Blick erkennbar und sicherlich einer der Gründe, wenn nicht sogar der Hauptgrund dafür, dass man sich nach fast einem Jahrhundert wieder verstärkt mit dem Ereignis beschäftigt." |61
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" Immer endet die Geschichte damit, dass er den Hörer auflegt, aber es hat noch keiner wirklich Licht in die Sache gebracht. Die Fragen bleiben. Was ist tatsächlich geschehen? Was haben Stalin, Pasternak und womöglich der Tote selbst zu verbergen?" 61
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Die Geschichte hat fünf Protagonisten Pasternak, Stalin, Mandelstam, Hoxha und Kadare. Licht in die Sache ist nur in Grenzen gebracht. Die aufgeworfenen Fragen bleiben.