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Zaza Burchuladzes Roman "Der aufblasbare Engel" über einen Esoteriker
Georges Gurdjieff (1864 bis 1949), der griechisch-armenische Esoteriker, hat viele Schüler um sich geschart, darunter auch westliche Sinnsucher wie Katherine Mansfield, Frank Lloyd Wright oder Peter Brook. Zu Gurdjieffs "Viertem Weg" einer "harmonischen Entwicklung des Menschen" gehörten sufistische, buddhistische und christliche Lehren, yogisches Denken, mönchisches Fühlen und die Körperbeherrschung des Fakirs, und entsprechend vielbegabt war auch der Meister. Gurdjieff wirkte als Schriftsteller, Tänzer, Komponist, Wunderheiler; für viele war seine harmonische Achtsamkeit allerdings auch der faule Zauber eines Scharlatans. Nach der Russischen Revolution 1917 floh er nach Tiflis, und dort taucht er hundert Jahre später in Zaza Burchuladzes Roman "Der aufblasbare Engel" auf.
Mehr aus Langeweile als aus spiritueller Überzeugung beschwören die energische Nino und ihr als Künstler und Mann gescheiterter Mann Niko in ihrer Küche den Geist des Gurus, der angeblich mit Stalin auf dem Priesterseminar war und Hitler das Hakenkreuz aus Indien mitbrachte. Gurdjieff erscheint tatsächlich, aber es ist nicht der charismatische Wundermönch des Fin de Siècle, eher ein kaukasischer Bhagwan. Er ist gekommen, um zu bleiben, und nimmt dabei wenig Rücksicht auf die prekäre Lage der Gorosias. Der wiedergeborene Rasputin rülpst Ruß und riecht wie ein Bauer, ernährt sich von Sultaninen, schaut gern "Dr. House", tanzt wie ein Derwisch und brabbelt wirres Zeug über das "Dritte Auge" und den "Vierten Weg". Immerhin, er führt den Hund Foucault aus, bringt den Müll runter und zaubert ab und zu zur Unterhaltung.
Wenn es um seinen Beitrag zur Haushaltskasse geht, greift der Magier freilich zu Ausflüchten, Hypnose und kleinkriminellen Aktivitäten. Einmal kidnappt er sogar einen gewissen Nugsar Tischikobawa, einen neureichen Strolch im Haus. Vom Lösegeld kaufen sich die Gorosias eine Luxuswohnung; der Entführte, ein Fan üppiger Damen und orthodoxer Kirchenlieder, wird in einem Bergkirchlein ausgesetzt. Zurück bleiben Gurdjieff und Foucaults Kopf im Kühlschrank. Man kann das als übermütige Satire auf die kriminelle Energie des georgischen Spießertums und die immer noch allmächtige Kirche lesen. Möglicherweise ist Gurdjieff sogar eine Wiedergeburt Stalins.
"Der aufblasbare Engel", im Original 2011 erschienen, ist weniger ein Roman als eine Sammlung von bizarren phantastischen Geschichten über telepathisch kommunizierende Hühner, singende Welse und Kugelblitze, garniert mit Kindheitserinnerungen und Lektionen in Tifliser Topographie. Die eher vorsichtige Kritik an Staat und Kirche, Korruption und Stalin-Nostalgie machte die Lage Burchuladzes in Georgien vollends unhaltbar. Schon durch seinen angeblich blasphemischen Erzählband "Instant Kafka" hatte er den Zorn frommer Babuschkas und des damaligen Präsidenten Saakaschwili auf sich gezogen. Nachdem er auf offener Straße krankenhausreif geschlagen worden war, floh Burchuladze 2014 ins Berliner Exil. Von seinen Freunden und seinem politischen Resonanzraum abgeschnitten, fühlt er sich in "Berlissi", im Niemandsland zwischen Berlin und Tiblissi, verloren.
Burchuladze kann nicht selbstbewusst à la Thomas Mann sagen: "Wo ich bin, ist Georgien", nur klagen und jammern: "Wo ich bin, befindet sich die gesamte georgische Unzivilisiertheit." "Der aufblasbare Engel" ist ein Ragout aus eingelegten Erinnerungsfrüchten, Instant-Satiren und surrealen Märchen. Burchuladze hat Charms und Dostojewski ins Deutsche übersetzt und zitiert russische Autoren, Filme wie "Matrix" und "Barbarella" und leider auch cyberdaoistische und quantenphysikalische Wichtigtuerwörter und allerlei "Internet-Artikel" über Gurdjieffs Leben und Lehre. Die Bildungshuberei ermüdet.
Nino Haratischwili arbeitete sich in "Das achte Leben (für Brilka)" über sechs Generationen und 1300 Seiten souverän an der georgischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ab. Ihr Landsmann Burchuladze schießt auf luftigen 180 Seiten nur ein paar Raketen und Knaller in den postsowjetischen Nachthimmel. Er tischt einen singenden Wels und eine "gastronomische Pietà" aus Fischen auf und verkocht Tifliser Süßigkeiten mit Nutella, postmoderne Formspielereien mit robustem Humor. Der Blumenbar Verlag hat den Roman schön gestaltet, aber für ein Nachwort oder ein Glossar wäre man dankbar gewesen. Georgische Dichter, heißt es einmal, seien "leicht vertrottelte, verschrobene Reimschmiede, die sich seltsame Pseudonyme ausdenken, Blankverse schreiben, in Schweineställen leben und laut Selbstgespräche führen". Burchuladze ist frischer, zeitgemäßer, aber auch er führt Selbstgespräche ins Leere hinein.
MARTIN HALTER
Zaza Burchuladze: "Der aufblasbare Engel". Roman.
Aus dem Georgischen von Maia Tabukashvili. Blumenbar Verlag, Berlin 2018. 181 S., geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
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