Mit Rosemary Tonks hat der Märzverlag eine Autorin ausgegraben, die eine ähnlich interessante Lebensgeschichte hat, wie die Fotografin Vivian Maier. In den 60er Jahren war Tonks eine Nummer im Literaturbetrieb. Sie machte sich einen Namen als Lyrikerin, Romanautorin und Kritikern, aber in den 70er
Jahren löste sie sich in Luft auf wie Cheshire-Cat. Der Legende nach wurde Tonks fundamentale…mehrMit Rosemary Tonks hat der Märzverlag eine Autorin ausgegraben, die eine ähnlich interessante Lebensgeschichte hat, wie die Fotografin Vivian Maier. In den 60er Jahren war Tonks eine Nummer im Literaturbetrieb. Sie machte sich einen Namen als Lyrikerin, Romanautorin und Kritikern, aber in den 70er Jahren löste sie sich in Luft auf wie Cheshire-Cat. Der Legende nach wurde Tonks fundamentale Christin. Sie lehnte jede Literatur außer der Bibel ab, verbrannte ihre Manuskripte und sorgte dafür, dass ihre Literatur nicht mehr zu finden war. Wenn sie ein veröffentlichtes Buch von sich fand, soll sie es verbrannt haben. Eine traumatische Kindheit und daraus resultierende Bindungsstörungen werden der Autorin angedichtet, die als Kind von Kolonialisatoren im Motherland England in Internaten aufwuchs. Ihre Karriere, ihre für die Zeit ungewöhnlich selbstbewußt-unangepasste Art, die Scheidung, ihre exzessive Literatur, ihr Hang zu Spiritualität, die Hinwendung zum fundamentalen Christentum, die Zerstörung aller aus der kolonialen Herkunft ihrer Familie ererbten Raubkunstobjekte und ihre kontinuierliche Verweigerung von Interviews oder Neueveröffentlichungen, lesen sich ebenso spannend, wie der Roman selbst, der 1968 herauskam und 2022 mit viel Aufmerksamkeit posthum neu veröffentlicht wurde, da nun ihre Hinterbliebenen zustimmten.
Das 40seitige Nachwort des Verlegers Neil Astley, der immer wieder versuchte an Tonks heranzukommen, umkreist die Legendenumwobene Autorin. Fast möchte ich dazu raten, es vor dem Roman zu lesen, denn es unterstreicht die Besonderheit der Autorin und ihres Schaffens. Doch das Werk Tonks steht für sich selbst. »Der Köder« ist ein heiteres Lustspiel mit giftigen Spitzen. In feinen Teegesellschaften, Opernabenden und Empfängen Londons lokalisiert, bewegt sich »Der Köder« zwischen »Menschen im Hotel« und der komischen Verdi-Oper »Falstaff«. Die eigenwillige Protagonistin Min tut alles für ihre Zerstreuung. Ihren Ehemann hält sie für so unscheinbar, dass sie versehentlich das Licht ausmacht, als sie den Raum verlässt, dabei sitzt er noch am Tisch und isst. Sie wettstreitet mit anderen Frauen um die besten Liebhabergeschichten, ist verknallt in den geschiedenen Billy, den sie auch erobert, während ein berühmter Opernsänger, der Kugelfisch, sie gekonnt umwirbt. Doch Min weiß noch nicht, ob sie selbst lieber die Angel auswirft oder gefangen werden will. Im verhalten-exzessiven Sound der 60er Jahre hält »Der Köder« die Spannung zwischen konservativem Gefangensein und dem selbstbewußten Ausbruch einer nach Zerstreuung suchenden Frau. »𝘋𝘦𝘳 𝘱𝘦𝘳𝘧𝘦𝘬𝘵𝘦 𝘈𝘱𝘦𝘳𝘪𝘵𝘪𝘷. 𝘋𝘪𝘦𝘴𝘦𝘴 𝘉𝘶𝘤𝘩 𝘸𝘢̈𝘳𝘮𝘵 𝘷𝘰𝘯 𝘪𝘯𝘯𝘦𝘯, 𝘦𝘴 𝘮𝘢𝘤𝘩𝘵 𝘣𝘦𝘴𝘤𝘩𝘸𝘪𝘯𝘨𝘵, 𝘴𝘰𝘳𝘨𝘦𝘯𝘭𝘰𝘴, 𝘶𝘯𝘥 𝘴𝘦𝘩𝘳, 𝘴𝘦𝘩𝘳 𝘷𝘪𝘦𝘭 𝘨𝘭𝘶̈𝘤𝘬𝘭𝘪𝘤𝘩𝘦𝘳« behauptet The Times und ich behaupte, dass das von Barbara Kalender gestaltete Cover noch glücklicher macht, es ist nicht so instagrammable, wie es sein könnte, aber wenn ihr im Buchladen seid, fragt doch mal danach, fasst es an und lest bei der Gelegenheit rein.