In Habermas’ Heim am Starnberger See atmet alles gepflegte Normalität. Philipp Felsch beschreibt seine Besuche im Haus von Habermas. Er kauft ihm Blumen am Bahnhof und die Suche nach der Vase gestaltet sich zur gemeinsamen Auftaktbesprechung ebenso wie der Hinweis von Habermas, dass der Marmorkuchen
zu dick aufgeschnitten sei. Kurzum: die beiläufige Könnerschaft des Erzählers hin zum Naheliegenden…mehrIn Habermas’ Heim am Starnberger See atmet alles gepflegte Normalität. Philipp Felsch beschreibt seine Besuche im Haus von Habermas. Er kauft ihm Blumen am Bahnhof und die Suche nach der Vase gestaltet sich zur gemeinsamen Auftaktbesprechung ebenso wie der Hinweis von Habermas, dass der Marmorkuchen zu dick aufgeschnitten sei. Kurzum: die beiläufige Könnerschaft des Erzählers hin zum Naheliegenden hat mich in das Buch mit- und eingenommen. Im Wohnzimmer von Habermas herrscht die helle Sachlichkeit der Nachkriegsmoderne. Ich selber habe mir als Schüler Geld mit Rasenmäher verdient und hier höre ich das gedämpfte Brummen eines Rasenmähers, das Philipp Felsch beschreibt. In ein kompliziertes Thema so einfach einsteigen, es hat mich gefesselt und das Buch ganz lesen lassen. Auch weil ich bisher nahezu nichts von Habermas gewusst habe. Es war mir immer zu gedrechselt und kompliziert, ein Formulierer für die Elite des theoretischen Denkens.
Hängen bleibe ich gleich zu Beginn an einer Jugend-Sünde des Jürgen Habermas’. Er sagte über Adenauer in den 50ern: dieser betreibe eine „Politik der Normalisierung eines alten Mannes mit beschränktem Wortschatz.“ Diese intellektuelle Selbstgefälligkeit eines Konstrukteurs elaborierter Sprachspiele trifft seinen eigenen Kern bzw. die dort präsente, negative Überheblichkeit. Adenauer verstand, was vielen Theoretikern fremd blieb: dass Geschichte nicht in Seminaren geschrieben wird, sondern durch Handeln, Bündnisfähigkeit und Mut zur Entscheidung. Und auch durch eine pointierte, reduzierte, klare Kommunikation, das Gegenteil von Sprachkünstlern wie Habermas. Adenauers knappe Sprache war kein Mangel, sondern Ausdruck von Souveränität und langer Erfahrung, u.a. als OB von Köln, der Hitler die Flaggen verweigerte. Ein Politiker, der in wenigen Worten mehr Realität schuf als ganze Bibliotheken.
Wären wir damals Habermas gefolgt, wären wir heute eine demilitarisierte, neutrale Zone. Er verfasste seine Essays in der FAZ u.a. als junger Mann in den 50ern unüberhörbar im selbstgerechten Heidegger Sprech. Er formulierte so: „Der Mensch muss sich in eine vernehmende Haltung zu den Dingen bringen und lernen, sie sein zu lassen, statt sie zu beherrschen.“ Eine Kritik an Heidegger kontert dieser später mit der Tatsache, dass er seit 1953 keine Tageszeitung mehr gelesen habe. Habermas konfrontierte Heidegger mit dessen ideologischer Verstrickung in den Nationalsozialismus, kritisierte die mythische Verklärung dieser Zeit und forderte eine ernsthafte, kritische Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte des Faschismus. „Es sei an der Zeit, lautete seine dialektisch raffinierte Schlussfolgerung, mit Heidegger gegen Heidegger zu denken.“
Immerhin, Habermas kommt nach Frankfurt, zu Adorno und steigt auf. Sein Ziel der Integration jüdischer Denker bzw. ihnen Gehör zu verschaffen verfolgt er konsequent ein Leben lang, zwei seiner Töchter tragen alt-testamentarische Namen. Das Buch von Philipp Felsch ist gut und spannend lesbar, obwohl es der Theorielastigkeit des Denkers Habermas nicht ausweichen kann. Alles in den 60er und 70ern war irgendwie so ähnlich.
Mein Lieblingsdenker Karl Popper würde Habermas vorwerfen, mit seiner Diskursethik zu sehr an eine ideale Konsensgesellschaft zu glauben und damit die Offenheit pluraler Meinungen zu unterschätzen. Aus Poppers Sicht überschätzt Habermas die Macht der Vernunft und der idealen Kommunikation, während Popper betont, dass Wissen immer vorläufig, fehlbar und durch „trial and error“ entsteht. Popper könnte kritisieren, dass Habermas’ normative Theorien eine Tendenz zum Dogmatismus haben, weil sie implizit vorschreiben, wie „vernünftig“ diskutiert werden müsse. Habermas’ Nähe zu einer großen Gesellschaftstheorie würde Popper skeptisch sehen, da er jede Form von Historizismus und teleologischen „Masterplänen“ für die Gesellschaft ablehnt. Insgesamt würde Popper fordern, dass Habermas stärker auf falsifizierbare Hypothesen und empirische Überprüfbarkeit setzt, statt auf idealisierte Modelle kommunikativer Vernunft.
Sloterdijk wirft Habermas vor, ein „moralisches Monopol“ zu beanspruchen, indem er politische und gesellschaftliche Debatten auf die Perspektive einer universalen Vernunft und Gerechtigkeit reduziert. Er kritisiert Habermas’ Diskursethik als „zu steril“ und „realitätsfern“, weil sie die leibliche, emotionale und machtpolitische Dimension menschlicher Kommunikation ausblendet. Besonders in der berühmten „Menschenpark“-Debatte (1999) attackiert Sloterdijk Habermas dafür, biotechnologische Entwicklungen vorschnell moralisch zu verurteilen, anstatt sie offen philosophisch zu reflektieren. Sloterdijk sieht Habermas’ Denken als „zu sehr vom Staatspaternalismus geprägt“, während er selbst stärker auf individuelle Selbstgestaltung und kulturelle Evolution setzt. Insgesamt wirft er Habermas eine „pädagogische Belehrungshaltung“ vor und fordert mehr Mut zur Pluralität, Provokation und ästhetischer Selbstüberschreitung im Denken.