Flussbiografie wird zur Autobiografie
Was muss in eine Flussbiografie? Quelle und Mündung, na klar. Dann die Entstehung, die Flora und Fauna und nicht zuletzt der Einfluss des Menschen.
Dieses Werk beginnt in der Mitte des Rheins, in Bingen. Hier musste der Rhein durchs Binger Loch, vor dem
einst der Urrhein über Worms und Alzey floß bevor er die Mittelgebirgsschwelle überwand und später den…mehrFlussbiografie wird zur Autobiografie
Was muss in eine Flussbiografie? Quelle und Mündung, na klar. Dann die Entstehung, die Flora und Fauna und nicht zuletzt der Einfluss des Menschen.
Dieses Werk beginnt in der Mitte des Rheins, in Bingen. Hier musste der Rhein durchs Binger Loch, vor dem einst der Urrhein über Worms und Alzey floß bevor er die Mittelgebirgsschwelle überwand und später den Inselrhein um Mainz bildete.
Das alles wirkte anfangs interessant. Anfangs war ich auch begeistert, dass Balmes die Quelle nicht am berühmten Tomasee sucht, sondern den weiter und viel schwieriger zu erreichenden Lago di Scuro aufsucht. In mir wuchs wieder einmal die Sehnsucht selbst die Quelle des Flusses aufzusuchen, an dem ich mein Leben verbracht habe, aber das Hochgebirge schreckt dann doch.
Doch im 2. Kapitel treten Probleme auf, die meine Begeisterung schmälerten:
1. Wer dieses Buch trotz meiner Kritik liest, möge bitte zählen wie oft der Autor erwähnt, dass der Alpenrhein über den Bodensee und Hochrhein bis zur alten Quelle bei Freiburg wuchs, genau dann als der Urrhein sich ins Mainzer Becken verlegte. (Ich wette, auf fünf oder sechsmal). Die Vorliebe des Autors für Geologie – weshalb er auch die Grube Messel ins Boot nimmt – und Biologie will ich nicht kritisieren.
2. Das Inhaltsverzeichnis legt eine geografische Gliederung mit kleinen Einschüben zum Maler Turner nahe. Doch außer den gute Kapitel über Quelle und Alpenrhein und Mündung, lässt Balmes ganzes Flussabschnitte aus.
Das Alpenkapitel wirkt so im Nachhinein wie eine Erzählung vom Wanderurlaub, das Hochrheinkapitel wie eine Tour mit einem Faltboot. Der Bodensee fehlt und der ganze Abschnitt zwischen Aaremündung und Worms fehlt auch, außer die Mikwe von Speyer, die es aus unerfindlichen Gründen als nahezu einzige menschliches Bauwerk, das nur am Rhein liegt und nichts mit ihm zu tun hat ins Buch geschafft hat.
Das Loreleykapitel war dem Autor wohl wieder eine Wander- und Kanureise wert. Und weil er in Koblenz aufgewachsen ist, durften Zweite Weltkriegsgeschichte auch nicht fehlen.
Der Niederrhein beginnt erst bei Rees, dafür höre ich aber – obwohl das meine Heimat ist – erstmals von der Kalflack, dem größten linken Nebenfluss nördlich der Erft, der aus mir unbekannten Gründen bei der Liste der Rheinnebenflüssen bei Wikipedia fehlt.
In Rotterdam wird auch das Auswanderungsproblem behandelt, wofür in Bremerhaven ein Museum steht. Im Rheinland wanderten die Pfälzer aus. Dass es einige Pfälzer nur in drei Dörfer am Niederrhein geschafft haben, ist Balmes aber wohl entgangen.
Umweltprobleme wie Fischsterben, Einwanderung invasiver Arten und der Rheinschlamm der an der Mündung als Sondermüll deponiert werden muss, fehlen im Buch nicht, aber Botanik und Geologie bilden den ermüdenden Schwerpunkt.
Einerseits bewundere ich den Autor, der als Lektor die genannten Themen wohl nur als Hobby kennt, anderseits wünschte ich, dass er die geografische Gliederung durch eine thematische ersetzt hätte. Dann gäbe es vermutlich auch weniger Wiederholungsschleifen. So nur 3 Sterne.